Interview mit dem Geigenbauer, Schriftsteller, Klang- und Lebensforscher Martin Schleske
Martin Schleske, Jahrgang 1965, baut in seiner Werkstatt in Landsberg am Lech Geigen, Bratschen und Celli. In Fachkreisen wird er als „Stradivari des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Sein Leben widmet Schleske Suche nach dem perfekten Klang und den Geheimnissen des Lebens. Davon erzählen auch seine Bücher „Der Klang“ und „Herztöne“. Am Samstag, 16. April, ist der schriftstellernde Geigenbauer zu Gast im Literaturhaus St. Jabobi Hildesheim. Seine Lesung, die von Bachsonaten auf der Violine umrahmt wird, beginnt um 19.30 Uhr.
Herr Schleske, ich unterbreche Sie gerade mitten in einem Arbeitsprozess?
Ja, ich lackiere gerade ein Cello. Das ist ein bisschen heikel, aber wir können gerne telefonieren.
Mich interessiert, wie Sie zum Geigenbau gekommen sind. Aus Ihren Texten spricht eine starke Religiosität, und so habe ich mich gefragt, ob Sie der Glaube zum Geigenbau gebracht hat? Oder umgekehrt?
Eher umgekehrt. Ich empfinde den Geigenbau als Vertiefung für das, was ich an Erfahrungen in meinem Leben sehe. Der Geigenbau selber ist wie ein starkes Gleichnis für grundsätzliche Fragen des Lebens.
Sie haben ja zunächst ganz klassisch an einer Staatlichen Geigenbauschule gelernt, dann aber noch in einer Forschungswerkstatt für Geigenbau gearbeitet und parallel Physik studiert. Hat die normale Ausbildung nicht gereicht?
Das kann man so sagen. Die normale Geigenbau-Ausbildung, die ich in Mittenwald gemacht habe - damals habe ich mit 17 die Schule geschmissen, um mich da zu bewerben - die war handwerklich extrem akkurat, auf Zehntel- oder Hundertstelmillimeter, aber überhaupt nicht geeignet, die Frage zu beantworten, wie man eine Geige zum Klingen bringt. Das ist natürlich die entscheidende Frage, die sehr schnell zur Physik führt: Was heißt es, wenn das Holz zum Schwingen kommt? Und welcher Klang entsteht aus den Schwingungen? Die ganze Akustik ist eine Ebene, die mich sehr fasziniert hat, und deshalb habe ich mich entschieden, das Abitur nachzumachen und Physik zu studieren.
In einem Interview haben Sie gesagt: „Labor und Atelier müssen zusammenkommen.“ Sie arbeiten als traditioneller Handwerker, aber auch am Computer. Können Sie kurz umreißen, wie in ihrer Werkstatt gearbeitet wird?
Wir haben verschiedene Etagen hier im Werkstatthaus. Die zweite Etagen ist das Akustik- und Materiallabor, wo sehr viel Akustikforschung stattfindet. Und im ersten Stock sind die Werkstätten, wo das ganze Handwerk stattfindet. Es ist ein ständiger Wechsel zwischen Werkstatt und Labor.
Wie viele Leute sind Sie denn in Ihrem Betrieb?
Wir sind zu viert.
Sie fertigen aber nur 20 Instrumente pro Jahr. Das ist wenig, oder?
Das sind sehr hochwertige Instrumente, die auch ihren Preis haben. Vielleicht sind wir dieses Jahr besonders gut und schnell und schaffen 30, aber mehr geht nicht. Sonst wird es nicht mehr ein individueller Körper, der einen eigenen Klang hat und für einen spezifischen Musiker dann auch die Stimme ist. Das braucht eine sehr individuelle Bearbeitung.
Sie bauen also nicht einfach ein Instrument und verkaufen es dann?
Genau. Es funktioniert so, dass ich den Menschen, der in die Werkstatt kommt und etwas sucht, näher kennen lerne und merke, was für eine Art von Stimme er sucht und braucht. Dann gilt es beim Bauen, sich darauf einzulassen. Denn letztlich ist der Klang die Stimme der Seele. Der Mensch sucht in dem Instrument den Ausdruck seiner Seele, und das ist nichts, was man standardmäßig machen kann. Die meisten Leute, die zu uns kommen, verbringen mehr Zeit mit ihrem Instrument als mit jedem Menschen. Das heißt, es ist etwas zutiefst zum Menschen Gehöriges.
Um den passenden Ausdruck zu formen, spielt sicher schon die Holzauswahl eine große Rolle. Wie finden Sie die richtigen Hölzer?
Es gibt nur wenige Gegenden in den Alpen, in denen man ein außergewöhnliches Klangholz finden kann. Die muss man kennen. Und es ist nur ein Baum von tausend, der einen solchen Klang entfalten kann. Und innerhalb von einem Baum sind es auch nur relativ wenige Bereiche, die dann wirklich außergewöhnlich klingen. Es ist schon eine Kunst, das richtige Holz zu finden.
Neulich habe ich ein spannendes Interview mit einem Holzhändler gelesen, der so genanntes Mondholz verkauft (Anmerkung des Verfassers: Bäume, die in einer speziellen Mondphase geschlagen werden). Benutzen Sie das auch?
Das ist eigentlich relativ normal. Man weiß mittlerweile, dass die Mondphasen einen extremen Einfluss nehmen auf alles Leben. In der Pflanzenwelt, aber auch im menschlichen Organismus. Das kann man sogar auch chemisch nachweisen, da gibt’s genug Studien. Man ist heute dazu geneigt, dass wir es sofort als esoterisch abtun, wenn man etwas nicht begründen kann, statt etwas bescheidener zu sagen: Wir kennen die Begründungen noch nicht und nehmen es erstmal phänomenologisch zur Kenntnis. In 500 Jahren werden die Menschen vielleicht über uns lächeln und sagen: Wussten die das damals noch nicht? Wir sollten viel bescheidener sein mit unseren Ideen und Begründungen. Bei diesem Mondholz, das ja Jahrhunderte altes Wissen ist, lässt sich mittlerweile tatsächlich wissenschaftlich zeigen, wie sehr die Mondphasen Einfluss nehmen auf die Inhaltsstoffe des Holzes. Eine ganz einfache Wiesenpflanze hat schon 70 Inhaltsstoffe, die periodisch stark mit den Mondphasen schwanken. Beim Holz ist es natürlich auch wichtig, dass es nicht im Wasser ist, in welche Richtung es geschlagen wird, dass die Krone beim Schlagen nach unten stürzt und nicht den Hang nach oben fällt. Das sind Phänomene, die bestätigen sich empirisch, auch wenn man es nicht erklären kann.
Ich bin nebenberuflich Taiji-Lehrer, da fallen die Erklärungen mitunter auch nicht leicht.
Genau. Allein so eine Frage. Was ist das Qi? Da kann man nur sagen: Na gut, wer darüber lächelt, wird es sicher nicht spüren. Da hilft nur ganz still sein, zum ständig plappernden Verstand sagen, dass er einfach mal die Klappe halten soll und wahrnehmen soll, was geschieht. Da passiert so unendlich mehr, als wir erklären können. Das nimmt einen großen Teil in meinem neuen Buch ein: die ganze Frage des intuitiven und dann auch inspirierten Lebens. Intuition ist so etwas wie die Weisheit der Seele, und die wird meistens totgeplappert vom Verstand. Der Verstand ist ständig dabei mit Begründungen, auch mit Sarkasmus und Ironie. Da ist es ganz wichtig, weniger dogmatisch an die Dinge heranzugehen, weniger zu urteilen.
Der Geigenbau und das Schreiben, liest man im Vorwort von „Herztöne“, seien gleichermaßen vom Zulassen und vom Gestalten geprägt.
Absolut. Das ist viel mehr das Zulassen und Wahrnehmen von dem was geschieht. Das ist auch mit ein Grund, warum ich glaube, dass es für uns westliche Menschen gut wäre, mehr von dem östlichen Denken, das uns zum Teil Jahrtausende voraus ist, zu lernen.
Ihr Leben bezeichnet Ihr Verlag als große Suche nach dem perfekten Klang und dem Geheimnis Gottes. Wie hängt beides zusammen?
Beides ist etwas, das nur durch Suchen erfahren werden kann. Also, ich würde niemals sagen, ich habe Gott gefunden - auch wenn da eine ganz innige Gottesliebe in meinem Leben ist. Aber es ist nichts, was ich gefunden habe oder wo ich sage: So ist es. Sondern es ist erfahrbar durch suchen. Es ist eher so etwas wie sich auffinden lassen. Es ist wie ein souveränes Gegenüber, das mich findet, viel mehr als dass ich es finde. Und mit dem Klang ist es das Gleiche: Ich spüre dieses ungeheure Phänomen, wie Klang die menschliche Seele berührt, wie er uns verändert und auch heilsam werden kann, aber ich kann es nicht greifen. Es geht viel mehr darum, es zu empfangen als zu machen. Also kann man sagen: Die seelische Grundvoraussetzung ist die gleiche. Es steht und fällt für mich mit dieser Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen, was ich nicht im Griff habe. In dem Moment, wo ich darüber nachdenke, ist kaputt. Wenn ich einen Klang höre, besteht mein Kopf eigentlich nur noch aus zwei riesig großen Ohren und keinem Kopf mehr dazwischen. Es ist nur noch hören. Und nichts denken, nicht mehr träumen, keine Sorgen - und das hat ganz tief zu tun mit der Gotteserfahrung. Auch in der Auseinandersetzung mit den ganzen heiligen Schriften, ob das nun das Tao Te King von Lao Tse ist, das ich sehr liebe, oder die Bhagavad Gita oder auch die Evangelien im Neuen Testament oder die Propheten im Alten Testament. Es ist immer das gleiche: Nicht die Texte kaputt zu denken und kaputt zu deuten und nicht zu belehren, also mein eigenes Denken darüber zu schütten. Sondern ich höre, was mir gesagt wird.
„Der Sinn der Musik ist immer Lobpreis“, sagen sie in einem Filmportrait. Gilt das für jede Form von Musik?
Ich würde sagen, in jedem Bereich der Musik gibt es auch ungeheuer Banales. Und Banalität ist kein Lobpreis, da müsste man mein Zitat tatsächlich einschränken. Ganz egal, ob das jetzt in der Popmusik oder in der klassischen Musik ist. Auch Telemann hat schon Unterhaltungsmusik gemacht. In der Rockmusik hat zum Beispiel Gary Moore atemberaubend gute Musik gemacht. Er hat den Ton singen lassen, es war der ganze Mensch. Und es war ein ungeheures Leiden darin. Lobpreis also nicht im süßlichen Sinn, da wäre ich missverstanden, sondern ein Lobpreis des ganzen Lebens, auch mit dem Leiden, mit der Leidenschaft im Suchen.
Was hat Sie eigentlich bewogen, zusätzlich zu ihrer Arbeit als Geigenbauer auch noch unter die Schriftsteller zu gehen?
Das hängt damit zusammen, dass das Schreiben für mich auch eine ganz tiefe Form der Klärung ist. Ich brauche es für mich selber. Seneca hat einen Satz gesagt, von dem ich viel halte: „Der schreibende Geist ist ein anderer als der denkende Geist.“ Und das stimmt für mich. Wenn ich gezwungen bin, die Dinge aufzuschreiben, geschieht für mich eine ganz große innere Klärung. Teilweise sind das Schönste am Schreiben die Momente, wo ich nichts schreibe. Wo ich da sitze und nur im Hören bin und warte, wie sich das weiter entwickelt. Oft passiert es, dass ich einen Satz schreibe, der mir vielleicht beim Spaziergang gekommen ist. Und dann fließt es aus mir heraus, ein, zwei Seiten, und ich denke: Das habe ich nie zuvor gedacht. Und ich könnte es auch jetzt nicht mehr schreiben. Es hat etwas ungeheuer Erfüllendes. Ich bin selten so ganz in einer Sache, ohne jeden Nebengedanken, wie in diesen fließenden Zeiten.
Auf Ihrer Homepage heißt es, Ihre beiden Bücher seien „in weiten Teilen an der Werkbank entstanden“. Kann man sich das buchstäblich vorstellen?
Ja, genau. Ich habe immer ein kleines Notizbuch an der Werkbank. Das kommt vielleicht daher, dass es Phasen gibt, in denen ich durch die Arbeit stundenlang nichts denke. Denn das ist eine andere Art von Denken im Geigenbau. Das ist ein ganz starkes Hineinspüren in das, was geschehen kann und geschehen soll. Das ist kein konstruierendes und kein planendes Denken. Das ist so etwas Reinigendes für den Kopf, dass plötzlich ein Gedanke hervorkommen kann, der aus einer anderen Tiefe kommt, als wenn ich einfach am Schreibtisch gesessen hätte und etwas schreiben wollte. Insofern lebt das Schreiben aus dieser künstlerischen Tätigkeit des Geigenbaus, weil da eine Art von emotionalem und ästhetischem Gegenwärtigsein gefragt ist. Ralf Neite