Bloß nicht autobiographisch

Nachricht Hildesheim, 31. Mai 2016
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Shida Bazyar stellt ihren Debütroman vor.

Aber es klingt so: Shida Bazyar über ihr Debüt „Nachts ist es leise in Teheran“

Shida Bazyar, 27, in Deutschland geboren, hat mit „Nachts ist es leise in Teheran“ einen viel beachteten Debüt-Roman geschrieben. Das Buch erzählt eine Geschichte, die die ihrer eigenen Familie sein könnte: Die Revolution gegen den Schah, die Flucht vor dem Khomeini-Regime, das Exil in Deutschland, 2009 die neue grüne Revolution im Iran. Shida Bazyar, die bis 2014 in Hildesheim Kreatives Schreiben studiert hat, lebt in Berlin. Halbtags ist sie Bildungsreferentin für junge Menschen, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in Brandenburg machen. Am Donnerstag, 9. Juni, liest sie auf Einladung des Literaturhauses St. Jakobi „bei Tisch in Ameis Buchecke“ in der Andreaspassage. Beginn ist um 19.30 Uhr.

Kommen Sie zum ersten Mal seit Ihrem Studium nach Hildesheim, oder gibt es noch Verbindungen hierher?

Es gibt tatsächlich keine Verbindungen mehr, außer natürlich das Institut, an dem ich studiert habe. Die haben mich im Dezember zu ihrer Weihnachtsfeier eingeladen. Das war tatsächlich das erste Mal, dass ich nochmal da war, weil auch alle Freunde und Freundinnen, die mit mir studiert haben, schon weg sind.

Wie sind Sie eigentlich zum Schreiben gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Ich habe als Kind angefangen – da kann ich mich nicht an ein richtiges Schlüsselerlebnis erinnern. Ich war noch im Kindergarten und habe einfach viele Geschichten vorgelesen bekommen und mir dann auch selbst Geschichten ausgedacht. Dann habe angefangen, mir nach und nach das Schreiben beizubringen und die Buchstaben zu erschließen. Schließlich hat sich mein Papa mit mir hingesetzt und geübt.

Können Sie sich noch an Ihr erste Geschichte erinnern?

Ja, da gab es diesen kleinen Raben, der seine Schwestern besuchen möchte. Die habe ich mit Hilfe meiner Eltern aufgeschrieben. Es ist ganz lustig: Wenn ich mir das heute angucke, sehe ich genau, wo ich Hilfe von Erwachsenen bekommen habe und wo nicht. Wo nicht, ist es natürlich ein großes Kauderwelsch, aber ich weiß immer noch, was es bedeuten sollte.

Wie alt waren Sie da?

Da war ich fünf. Seitdem habe ich es durchgehend weiter gemacht, kleine Geschichten geschrieben. Anfangs waren immer Tiere meine Protagonisten, irgendwann in der Pubertät ging es eher um Partys. Nach dem Abi habe ich dann lange überlegt, was ich studieren soll, und es in Hildesheim einfach versucht, obwohl ich wusste, dass man kaum Chancen hat, da zu landen.

Was wäre die Alternative gewesen?

Ich hatte noch die Zusage für Iranistik in Berlin. Und ich hatte auch lange über Soziale Arbeit nachgedacht.

Geschrieben haben Sie also praktisch schon immer. War das Studium in Hildesheim eine Hilfe auf dem Weg, dann auch tatsächlich als Schriftstellerin zu arbeiten?

Ja, ich finde schon. Dort gab es zum ersten Mal ein Setting, in dem das wirklich ernst genommen wurde. Auch hatte ich vorher gar nicht den Bezug zur deutschen Gegenwartsliteratur. Ich hatte zwar viel gelesen, aber aktuelle Dinge gingen an mir vorbei.

Ihr Debüt-Roman ist durch Ihre Familiengeschichte geprägt. Ist es einfacher, mit einem autobiographischen Stoff zu beginnen?

Das frage ich mich auch manchmal. Eigentlich hatte ich die ganze Zeit im Kopf, dass es nicht autobiographisch werden sollte. Auf jeden Fall wollte ich vermeiden, dass sich Menschen darin wiederfinden oder dass es am Ende doch meine eigene Geschichte ist. Das hat beim Schreiben auch ganz gut geklappt. Die nächste Hürde war, dass ich ganz viel Recherchewissen und Informationen im Kopf hatte. Ich wollte das nicht abarbeiten und eine Reportage schreiben.

Heißt das, dass ihr Buch gar nicht autobiographisch geprägt ist? Den Eindruck hat man beim Lesen ja durchaus.

Es sind nicht meine Eltern, es sind nicht meine Geschwister, das bin nicht ich. Es sind völlig fiktive Personen und Situationen. Was autobiographisch ist, und das reicht für mich eigentlich nicht, um das Wort zu benutzen, sind die groben Eckdaten wie der Zeitpunkt der Flucht oder die Kindheit in Deutschland. Mit mir als Person hat es tatsächlich wenig zu tun.

In einem Fernsehbeitrag sagten sie: „Ich glaube, dass Kinder von geflüchteten Eltern immer auch das Trauma mit sich tragen, alles stehn- und liegengelassen zu haben, ohne es zu wollen“. Ist ihr Buch so eine Art Trauma-Therapie?

Ich glaube schon, ein bisschen. Auf der emotionalen Ebene muss man sich weniger erarbeiten, wenn man über das schreibt, was man kennt. Da geht es ja um Emotionen, die ich durchaus kenne, die ich aber in andere Formen und an anderen Stellen eingebunden habe.

Haben Sie sich, nachdem das Buch fertig war, freier gefühlt?

Ich habe mich vor allem nach der Recherche befreiter gefühlt, weil ich dachte: Jetzt weiß ich alles. Als das Buch dann heraus kam, hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt auch ein Teil dieser Geschichte bin; dass ich etwas dazu beigetragen habe zu dem, was meine Eltern gemacht haben.

Würden Sie sich als politische Schriftstellerin bezeichnen?

Ja, auf jeden Fall. Ich kann wenige Themen beschreiben, ohne dass es am Ende auch politisch ist.

Wie wirkt die aktuelle Flüchtlingsdebatte auf Sie?

Ich finde es wahnsinnig beängstigend, wie darüber geschrieben und gesprochen wird. Aber ich merke mehr und mehr, wie es auch in meinem Kopf abstrakt wird: Flüchtlinge, Grenzen, wieder Tote im Mittelmeer. Ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern, dass es sich um Menschen handelt, die genauso gut Sie oder ich sein könnten. Das bereitet mir große Sorge, denn es sind ja Menschen, die meine Nachbarn werden und vielleicht auch bleiben. Ich glaube, es ist ein großer Schritt, diese Menschen als Nachbarn anzunehmen und nicht als abstrakte Wesen.

Wie geht es für Sie nach dem Debütroman weiter?

Im Moment finde ich alles spannend. Alles, was ich sehe und wahrnehme, speichere ich im Kopf ab und denke, das könnte eine Geschichte werden. Aber ich habe ich gerade gar keine Zeit, zum Schreiben zu kommen. Perspektivisch wird es ein zweites Buch geben – im Moment ist das erste einfach zu Raum einnehmend, zumal ich noch eine andere Arbeit habe, die ich sehr gerne mache.

Ralf Neite