
Ehrenamtliche erarbeiten erste hochdeutsche Fassung der Hildesheimer Kirchenordnung des Reformators Johannes Bugenhagen
Hildesheim. Johannes Bugenhagen spielte eine wichtige Rolle bei der Einführung der Reformation in Hildesheim. 1542 hielt er in der Andreaskirche die erste evangelische Predigt vor den protestantischen Bürgern der Stadt. Und er erarbeitete danach auch eine Kirchenordnung für Hildesheim, die 1544 gedruckt und vom Rat erlassen wurde. Die Kirchenordnung ist in der damals in Norddeutschland üblichen Schriftsprache Mittelniederdeutsch verfasst. Bis heute existiert keine Übertragung ins Hochdeutsche.
Das will eine Projektgruppe des Arbeitskreises für evangelische Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt (Bugenhagen-Hochschule) jetzt ändern. Seit etwa sechs Monaten feilen Jürgen Oesterley, Ulrike Banafsche und Barbara Meyer-Wilkens an einer Übersetzung. Sie sind überzeugt, dass der Text nicht nur für ein Fachpublikum interessant ist, sondern für alle, die mehr über die Hildesheimer Stadtgeschichte wissen möchten. Denn die Kirchenordnung befasst sich keineswegs nur mit der evangelischen Lehre, dem Ablauf der Gottesdienste oder der Feier des Abendmahls. Vielmehr regelt sie das christliche Leben von Geburt und Taufe über die Eheschließung bis zum Tod.
„Als ehemaliger Lehrer fand ich natürlich besonders die in eine Kirchenordnung integrierte Schulordnung spannend“, sagt Jürgen Oesterley, der am Andreanum Latein und evangelische Religion unterrichtet hat und Vorsitzender der Bugenhagen-Hochschule ist. „Es gibt ganz detaillierte Unterrichtspläne“, ergänzt Barbara Meyer-Wilkens, einst Lehrerin für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Himmelsthür. Von morgens bis abends seien die damaligen Schüler im Unterricht eingespannt gewesen, mussten auch bei Gottesdiensten oder Beerdigungen singen und hatten nur einen Nachmittag in der Woche Freizeit zum Spielen, erzählen die ÜbersetzerInnen. Allerdings besuchten im 16. Jahrhundert nur Jungen die fünf Klassen der evangelischen Andreas-Schule, und auch die nicht alle.
Überraschend fand Barbara Meyer-Wilkens auch das Kapitel über die Arbeit der Hebammen, Bademuhmen genannt. „Ihre Arbeit hatte ja auch einen geistlichen Bezug, beispielsweise, weil sie häufig Nottaufen durchführen mussten.“ Der Tod von Neugeborenen oder Müttern im Kindbett war zur Zeit Bugenhagens nicht selten.
Johannes Bugenhagen ließ seine Erfahrungen aus anderen Städten in die Kirchenordnung für Hildesheim einfließen. Zuvor hatte er solche Schriften schon in Braunschweig, Hamburg, Lübeck und Wittenberg verfasst, sich dabei jeweils mit dem Rat und den maßgeblichen Kräften abgestimmt und sich auf örtliche Verhältnisse eingestellt. „Bei den von ihm erarbeiteten Kirchenordnungen handelte es sich um Landesgesetze im Range von Verfassungen“, heißt es in einer Zusammenfassung von Ulrike Banafsche, der Geschäftsführerin der Bugenhagen-Hochschule. So ging es in der Kirchenordnung auch um die Verwaltung der Kirchenkasse, um die Besoldung der Bediensteten und die karitativen Aufgaben.
Die Hildesheimer Kirchenordnung ist in einem handlichen Oktav-Format erschienen und liegt dem Stadtarchiv noch in zwei Exemplaren vor. Die Übersetzer arbeiteten jedoch mit einer in lateinischen Buchstaben gedruckten Ausgabe aus dem Sammelband „Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts“, 1980 in Tübingen erschienen. Spezialisten für Mittelniederdeutsch sind die Mitglieder der Arbeitsgruppe nicht, doch Übung im Umgang mit anderen alten Sprachen und die Kenntnis des Mittelhochdeutschen aus dem Studium halfen dabei, sich den Text zu erarbeiten. Hinzu kommt, dass sie in der Kindheit noch Plattdeutsch gelernt haben. Man liest sich ein“ sind sich die drei einig.
Innerhalb etwa eines halben Jahres hat die Gruppe sich einmal durch den Text gearbeitet, problematische Stellen diskutiert und so eine erste Fassung der Übersetzung erstellt. Jetzt soll der Feinschliff folgen, außerdem wollen die Übersetzer – unterstützt von der Historikerin Dr. Andrea Germer und Dr. Hermann Radvan - ergänzende Texte auswählen, um die Kirchenordnung in einen historischen und thematischen Zusammenhang zu stellen. In etwa drei Monaten wollen die VerfasserInnen mit ihrer Arbeit fertig sein. Die Übersetzung soll auf jeden Fall in Druck gehen, wann und in welcher Form sie erscheinen wird, ist allerdings noch nicht sicher.
Dass eine hochdeutsche Übertragung der Kirchenordnung fehlt, fiel bei Vortragsveranstaltungen der Bugenhagen-Hochschule auf. Die Gruppe nahm sich vor, die Anregung von Superintendent Helmut Aßmann aufzugreifen und diese Lücke zu schließen. Sie arbeiten im Übrigen nicht zum ersten Mal gemeinsam an einem Buch, auch an dem Band „St. Michaelis zu Hildesheim. Geschichte und Geschichten aus 1000 Jahren“ der im Jubiläumsjahr 2010 als Gemeinschaftswerk vieler Autoren erschienen ist, haben sie schon mitgewirkt.