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Bewegungsdrang und Impulsivität müssen nicht ADHS bedeuten

Nachricht Hildesheim, 24. April 2013
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  Eine gründliche Diagnostik sei entscheidend, betonte Prof. Dr. Claudia Mähler. Fotos: Barth  

Fachleute beim Küchengespräch: Richtige Diagnose ist wichtig / Verhaltenstherapie schafft wieder positive Erlebnisse für Kind und Eltern

Hildesheim. Wenn ein Mädchen oder – häufiger – ein Junge im Kindergarten dauernd aneckt, in der Schule nicht aufpasst und zu Hause die Eltern zur Verzweiflung treibt, wenn die ewig gleichen Mahnungen einfach nicht fruchten und das Kind nicht zur Ruhe kommt, dann könnte das ein Hinweis auf ADS oder ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-[Hyperaktivitäts]-Syndrom) sein. Aber wann ist der Punkt erreicht, an dem der Gang zum Kinderpsychologen angezeigt ist? Wie können Eltern sich der Diagnose sicher sein? Um der Verunsicherung mit Fakten zu begegnen, hatte die Evangelische Familienbildungsstätte Fachleute zum „Küchengespräch“ über das Thema geladen. Vor allem Erzieherinnen aus Kindergärten und LehrerInnen nahmen das Angebot an.

 

Eines der Ergebnisse: Je früher die Eltern mit ihrem Kind fachliche Hilfe suchen, desto besser. Denn das Kind leide unter ständigen Misserfolgen, erfahre von allen Seiten Kritik und Zurechtweisungen. Außerdem belaste der dauernde Stress die Beziehungen innerhalb der Familie und steigere dadurch nur das Problem. Doch vor einer Therapie müsse unbedingt eine eindeutige Diagnose stehen.

 

Die Diagnostik in diesen Fällen sei nicht einfach, erläuterte Prof. Dr. Claudia Mähler von der Forschungs- und Lehrambulanz Kind im Mittelpunkt (KiM) am Institut für Psychologie der Universität Hildesheim. Schließlich kommen Bewegungsdrang, Impulsivität oder Unaufmerksamkeit bei allen Kindern vor und sind nicht immer Krankheitssymptome. Es gebe Tests und Fragebögen, wesentlich sei aber die genaue Beobachtung des Kindes in unterschiedlichen Lebensbereichen. Das sei von den Kinderärzten meist nicht zu leisten.

 

Viele der Kinder, die bei uns vorgestellt werden, erreichen nicht die klinische Schwelle für eine Diagnose“, sagt Prof. Dr. Mähler. Und auch Günter Zaubzer, Therapeut am AMEOS-Klinikum, hat die Erfahrung gemacht: „ADHS ist die meistgestellte Diagnose bei den Kindern, die zu uns kommen. Aber die Diagnose stimmt nicht immer.“ Andere Probleme wie Autismus, Depressionen oder Wahrnehmungsstörungen müssten sicher ausgeschlossen werden. Außerdem gelte es festzustellen, ob nicht beispielsweise eine permanente Überforderung in der Schule oder eine belastende Situation in der Familie das Verhalten des Kindes ausgelöst hätten.

 

Neben den Eltern seien es oft Lehrer und Erzieher, die zuerst den Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsstörung äußerten, berichteten Mähler und Zaubzer. Dabei kämen die Kinder im Kindergarten oft noch ganz gut zurecht, hat Susanne Gentz, Heilpädagogin im St. Thomas Kindergarten, beobachtet: Klar Strukturierte Tagesabläufe, Gelegenheit zur Bewegung, Verbildlichung von Sprache in der Kita kämen den Kindern entgegen.

 

Und was passiert, wenn die Diagnose feststeht? „Verhaltenstherapie ist wirksam“, versicherte Prof. Dr. Mähler. Manche Kinder müssten aber zusätzlich Medikamente erhalten, um von der Therapie überhaupt profitieren zu können. Am besten, auch darin waren sich die Fachleute einig, seien solche Programme, die auch die Eltern in die Therapie einbeziehen. Gemeinsam könne die Familie Schritt für Schritt ein anderes Verhalten einüben.

 

Das Kind braucht positive Erlebnisse“, unterstrich Günter Zaubzer. Und auch die Eltern seien erleichtert, wenn sie am Ende eines Kindergartentages endlich einmal hörten, was ihr Kind kann und gut macht, unterstrich Pädagogin Gentz. Es könne helfen, so Prof. Dr. Mähler, wenn sich Kinder und Eltern jeden Abend vor dem Einschlafen erzählen, was an dem Tag schön war und gut gelaufen ist. „Und zwar jeden Tag. Auch wenn sie manchmal lange überlegen müssen, um etwas Schönes zu finden.“

 

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  „Das Kind braucht positive Erlebnisse“, unterstrich Günter Zaubzer.