Alten- und Pflegeheim St. Nicolai stellt Mitarbeitenden im Workshop Konzept für Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase vor
Sarstedt. „Augen zu und Mund auf“, das ist schon unter Kindern eine Mutprobe. Denn niemand möchte gern etwas schlucken, ohne zu wissen, was es ist. Das gilt auch für pflegebedürftige Menschen in der letzten Phase ihres Lebens. Was es bedeuten kann, unerwarteten Sinneseindrücken hilflos ausgeliefert zu sein, das haben Mitarbeitende des Alten- und Pflegeheimes St. Nicolai Sarstedt, einer Einrichtung im Pflegeverbund der Diakonie Hildesheim, bei einer Fortbildung selbst erlebt.
Die Begleitung von Sterbenden nehme als Aufgabe im Altenheim zunehmenden Raum ein, erläutert Heimleiterin Christine Hoschke. Viele alte Menschen nehmen zunächst häusliche Pflege in Anspruch und ziehen erst in ein Heim um, wenn es zu Hause absolut nicht mehr geht. Dass Bewohner zehn Jahre oder mehr in der Einrichtung verbrächten, komme daher kaum noch vor. Oft kämen sie nur für die letzten Lebensmonate. Das Heim hat sich darauf eingestellt, hat Mitarbeitende zu Hospizbegleitern und -begleiterinnen ausgebildet und arbeitet mit Hospizvereinen zusammen. Ein schriftlich niedergelegtes Gesamtkonzept habe jedoch noch gefehlt, erklärt Christine Hoschke.
Dafür holte sich das St.-Nicolai-Altenheim Unterstützung bei Pflegepädagogin Bettina Kasper. Sie bildete Arbeitsgruppen mit dem Personal, gemeinsam wurde über mehrere Monate ein Konzept für die Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase, ein „Palliative Care Konzept“, erstellt. Dieses Konzept sollte allerdings nicht einfach allen Mitarbeitenden in die Hand gedrückt, sondern ihnen in Workshops praktisch nahegebracht werden. „Uns war es wichtig, alle Bereiche einzubeziehen, die Pflege ebenso wie die Küche oder das Reinigungspersonal“, so Christine Hoschke.
Sterbende Menschen nähmen Sinneseindrücke oft besonders intensiv wahr, reagierten empfindlich auf Lärm und helles Licht, erläuterte Susanne Lippoldt. Sie gehörte zu den Mitarbeiterinnen, die das Konzept den Kolleginnen und Kollegen vorstellten. Wenn der Essenswagen über den Flur rumpele, in einem Zimmer das Radio plärre, im nächsten der Fernseher, dann könne das für ruhebedürftige Menschen eine große Belastung sein. Und wie unangenehm sei es wohl, hilflos im Bett einer Pflegeperson ausgeliefert zu sein, die nach Zigaretten, Schweiß oder Knoblauch rieche?
Auf das Bedürfnis des Einzelnen zu achten, die individuellen Vorlieben herauszufinden, das sei ganz wesentliche Voraussetzung für eine würdige, fürsorgliche, „umhüllende“ Begleitung, hieß es im Workshop. Daher sei es auch wichtig, schon bei der Aufnahme Informationen festzuhalten – über Wünsche und Biografie, kulturelle und religiöse Hintergründe Bescheid zu wissen.
Appetitlosigkeit sei eine häufige Begleiterscheinung des Alters, zumal Kauen und Schlucken oft schwer fielen, erläuterten Ulrike Schütze und Martina Kaesler. Aber vielleicht sei das Essen auch manchmal einfach nicht nach dem Geschmack der Bewohnerinnen und Bewohner? Die beiden Pflegefachkräfte hatten ein typisches Mittagessen hinter einem Pappkarton versteckt und ließen die Mitarbeitenden löffelweise probieren. So machten alle selbst die Erfahrung, dass sie passiertes Fleisch und Gemüse nicht zu einem undefinierbaren Brei verrühren sollten. Und dass ein vollgepackter Teller abschreckend wirken kann. Viele kosteten auch zum ersten Mal Getränke, die mit Pulver verdickt wurden, um ein Verschlucken zu verhindern. Die wenig begeisterten Gesichter sprachen Bände. Eingedickten Kaffee werde es in Zukunft jedenfalls nicht mehr geben, sagt Heimleiterin Hoschke: „Das hat uns diese Erfahrung gezeigt.“
Weitaus mehr Anklang fanden die zahlreichen Ideen, einem trockenen Mund Feuchtigkeit zu verschaffen. Der mit Tee getränkte Tupfer ist da nämlich längst nicht die einzige Lösung. Ulrike Schütze und Martina Kaesler hatten Säfte, püriertes Obst und sogar Rotwein in Förmchen zu Lutsch-Eis gefroren, kleine Sprühflaschen mit Sekt und Cola gefüllt. Auch prickelndes Brausepulver auf der Zunge soll hilfreich sein.