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Blick auf die alltäglichen Höllen

Nachricht Hildesheim, 09. September 2013

Figurenensemble „Verspottung“ von Klaus Effern in der Andreaskirche

Hildesheim. Die Szene ist seit Jahrhunderten die gleiche und findet auch heute irgendwo auf der Welt statt: Ein Mensch in Gefangenschaft, hilflos und orientierungslos seinen Folterern ausgeliefert, geschlagen und gedemütigt. So hat Mathis Neithart, genannt Matthias Grünewald, in der Renaissance die Verspottung Christi gemalt. Das Gemälde ist Vorbild für eine siebenteilige Skulpturengruppe des Künstlers Klaus Effern, die noch bis Sonntag, 15. September, in der Andreaskirche zu sehen ist.
Der Künstler ist für die Eröffnung der Ausstellung selbst angereist und hat die sieben Figuren im Altarraum angeordnet. Ein Mann bläst die Tuba, er richtet sein Instrument dabei direkt auf die Gemeinde. Eine Frauenfigur mit Kamera steht gerade dort unterhalb der Szene, von wo sich das Ensemble tatsächlich gut fotografieren ließe. Ein kleines Mädchen hält sich im Hintergrund. Ein Hund bellt die Szene an, ihn hat Klaus Effern nicht zufällig direkt neben der Kanzel aufgestellt. Im Zentrum steht eine Dreiergruppe mit dem Verspotteten und Gefolterten in der Mitte.

Seine Figuren seien immer ambivalent, sagt der Künstler. Wie in seinem Zyklus „Junge Schmerzensmänner“ über jugendliche Strafgefangene sieht er selbst in dem brutalen Täter auch das Opfer – wie ist der Mann geworden, was er ist? Daher fessele ihn der junge Mann mit der Kappe, der gerade zum Schlag mit dem Seil ausholt, im Ensemble „Verspottung“ besonders, sagt Klaus Effern. Die Figur beschäftige ihn noch immer: „Mit dem bin ich noch nicht fertig.“ Dieser Mann zeigt in der unmenschlichen Szene sein menschliches Gesicht, dagegen hat der Künstler dem brutalen Faustschläger gegenüber nur einen grob behauenen, fast gesichtslosen Kopf gegeben. Er sollte nicht festgelegt, nicht identifizierbar sein.

Ambivalenz liege seiner Ansicht nach auch im Spott selbst, so Klaus Effern. Er sei das Mittel der Starken, ihre Opfer klein zu machen, aber er könne für die Schwachen auch ein Ventil sein, eine Möglichkeit der Auflehnung gegen die Macht. Hartmut Reimers, Diakon im Haus kirchlicher Dienste, das die Ausstellung der Figuren in Gemeinden der Landeskirche Hannovers organisiert, sieht Spuren von Verspottung täglich in den Schlagzeilen: Wo immer Geld mehr zählt als Bildung, Gesundheit oder Gerechtigkeit.

Zur Ausstellungseröffnung stellte Superintendent Helmut Aßmann den Künstler und seine Arbeit in einem Dialog vor. Danach hatten die Besucher Gelegenheit, sich die Skulpturen in Ruhe anzusehen. Sie zeigten keine Berührungsängste: Ganz im Sinne Klaus Efferns gingen die Betrachter zwischen den Figuren herum, schauten ihnen ins Gesicht, berührten das glatte Holz und machten sich selbst zum Teil der Szenerie.

„Spott geht nicht auf die Knochen, er geht auf die Seele“, sagte Helmut Aßmann in einer abschließenden Betrachtung. Der Spott ziehe seine Energie aus seinen Opfern. Gerade weil Christus das zuließ, das mit sich geschehen ließ, habe Gott ihn erhöht. Die Ausstellung gebe Gelegenheit, auf diese schwierige Seite des Glaubens, auf die schrecklichen Seiten des Lebens und die alltäglichen kleinen Höllen zu sehen: „Denn sie vergehen nicht, wenn man nicht hinschaut.“

Kirchenmusiker Bernhard Römer unterstrich die Ausstrahlung der Figureninstallation durch zeitgenössische Musik auf der Orgel. Schmerz und Dramatik der dargestellten Szene wurden in den Stücken von Petr Eben, Oskar Gottlieb Blarr und Johann Pachelbel hörbar. Fotos & Text: Wiebke Barth