Büttenpredigt am Sonntag Estomihi von Superintendent Helmut Aßmann
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Das ist das Motto dieses Jahr.
Wer kriegt die Torte ins Gesicht,
weil er so schön bescheuert war?
Wer spielt verrückt, auch ohne Geige,
wer macht den Affen ohne Not,
wem geht der Ernst auch mal zur Neige,
wer frißt die Wurst auch ohne Brot?
Wer windet sich aus der Routine
und träumt von Rausch und dunklen Lüsten?
Wer kommt noch hinter seine Unschuldsmiene,
wo fremde Welten liegen müßten.
Wer haut den Lukas, daß es knallt,
und schmatzt sich durch die Zuckerwatte,
wer ist für keinen Mist zu alt
und legt sich in die Hängematte?
Wer unter euch, ihr Tugendstreber,
kann seine Sau noch laufen lassen,
ohne als guter Anstandseber
ihr schnellstens ins Genick zu fassen.
Wer raucht denn noch ohne Gewissen?
Wo kann man noch im Freien pinkeln?
Wen darf man noch aus Freude küssen,
die Welt ist voll von toten Winkeln.
Man darf nicht auf den Ausschnitt schauen,
das hatten wir schon letztes Jahr,
Gemobbte dürfen sich nicht hauen,
auch das ist jetzt gerichtlich klar.
Der letzte Ort der Raserei
in unserm ordentlichen Land
ist hinter Würzburg die A3,
da toppt die Lust noch den Verstand.
Das ist zuwenig, Leute, seht,
Gesetz ist nur das halbe Leben,
Gott, der davon ja viel versteht,
hat nicht umsonst die Lust gegeben.
Wir sollen uns nicht nur vermehren
wie arme kleine Kirchensünder,
sondern im, Gegenteil ihn ehren
wie herrlich freie Gotteskinder.
Und was tun wir? Wir machen Regeln
für Bordsteine und Lattenzäune,
fürs Hundehalten oder Segeln,
fürs Fahrradfahren an der Leine.
Wir gehen arbeiten, nicht feiern,
und danach worken wir uns out.
Das nenn ich: Lebenslust enteiern,
so wird der Schweinehund versaut.
Work – Life – Balance heißt dieser Quatsch,
der selbst die Freizeit limitiert
und noch aus unbedarftem Klatsch
Leistungserweise präpariert.
Und dann sind wir in Niedersachsen,
dem Feiertage – Armenhaus,
es wird hier keine Festkultur erwachsen,
hier ist es schon mit Ostern aus.
Zum Vatertag wird noch gesoffen
und um den Hohnsen randaliert,
Da sind plötzlich die Hosen offen,
Nur: ist das etwas, das uns ziert?
Kein Karneval, kein Halloween,
auch das Dreikönigsfest entfällt,
man spürt das Jahr vorüberziehn
und denkt, so wäre halt die Welt …
So ist sie eben nicht, ihr Lieben,
Gott hat sie mal mit Lust gemacht
und wäre ihr wohl fern geblieben,
hätt er sich nichts aus ihr gemacht.
Er hat sich indes lang und gründlich
das ganze Leben angesehn
und, sowohl schriftlich als auch mündlich
beschlossen, nicht mehr wegzugehn.
Mit anderen Worten: Menschenleben
hat immer was von Schöpfungsakt.
Man nimmt und man versucht zu geben,
mal angezogen und mal nackt.
Und wer nicht arbeitet, nun ja,
der ist nicht unbedingt schon faul.
Vielleicht ist er nur anders da
und stopft den Hektikern das Maul.
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Das Leben ist ein Jahrmarktstreiben.
Wer hat die Torte im Gesicht?
Laß uns das jetzt mal kurz beschreiben.
Wir gehen nun von Stand zu Stand,
zu Karussells und Achterbahnen,
besehen Flitterkram und Tand
und schreiben dann auf unsere Fahnen:
Der Mensch ist Mensch, solang er lebt,
mit allem, was ihn treibt und drückt,
und wenns ihn aus den Angeln erhebt,
dann ist im Leben was geglückt.
1. Stand – der neue Oberbürgermeister
Als Oberkarussellbegleiter
des Hildesheimer Jahrmarkttrubels
arbeitet nun ein neuer Leiter:
Doc Meyer, unser Herz des Jubels.
Ein Hildesheimer Wiedergänger,
reimportiert aus Frankfurt/ Main,
soll nun der Botschaftenempfänger
für unser aller Bitten sein.
Er hat, das hab ich wohl gesehen,
bei seiner Frau sehr gut gewählt:
Pastorentochter. Unbesehen
Respekt, Herr Meyer. So was zählt!
Freilich, nun ist er Katholik.
So was macht unsereinen grübeln,
er kann zwar nichts für dies Geschick,
ich will es ihm auch nicht verübeln,
und seine Frau macht manches wett.
Doch kann man sich darauf verlassen?
Er gibt sich flott, er gibt sich nett,
gibt nicht den Volkstribun der Massen,
aber man muß schon darauf achten
in einer echten Bischofsstadt,
denn alles Tun und alles Trachten
kommt aus dem Glauben, den man hat.
Und schließlich sind die Evangelen
nun doch die Mehrheit im Beritt,
ich will das auch nicht laut erzählen,
ich teile das nur denen mit,
die noch den alten Spruch zitieren,
in Hildesheim sei man katholisch.
Das mag den Bürgermeister zieren,
und selbst das gilt nur symbolisch.
Ein bißchen artig die Frisur,
und ich sag auch: zuviele Haare,
so auf die jugendliche Tour.
Das gibt sich noch im Lauf der Jahre …
Ansonsten sehr adrett und smart,
ein vielversprechendes Profil.
Die Lippen weich, die Linie hart,
ein guter Schwiegersöhnestil.
Als er das erste Mal erschien,
der Meyer, damals als Jurist,
da verwendete man ihn
als Abwasserspezialist.
Er mußte ordnen, klären schlichten,
wie man mit Dreck als Stadt besteht,
und konnte wohl, allen Berichten
zufolge, zeigen, daß es geht.
Wenn einer so was handeln kann,
die ganze Scheiße einer Stadt,
dann ist es ganz bestimmt ein Mann,
der Recht auf Sympathien hat.
Niemals zuvor sind alle Stände
so einig in der Stadt gewesen.
Für Onkel Kurt kam so das Ende,
trotz all der schönen, steilen Thesen
zur Kandidatenkürbredouille:
Ein Fremdimport, ein Leichtgewicht
aus Möllrings kleiner Hengstpatrouille,
so einer rockt das Rathaus nicht.
Was hat sich mancher bis zum Schluß
mit Vehemenz ins Zeug gelegt,
das man nur einen wählen muß,
solang das Rosenherz noch schlägt.
Nun hat die Meyerei gewonnen
und steigt in unser Karussell.
Er wird der Chef der Jahrmarktswonnen.
Es wachse ihm ein dickes Fell.
Mit Sachlichkeit und Sachverstand
wird nun der Rummelplatz beschickt.
Es soll Gediegenheit ins Land,
jetzt spielt hier keiner mehr verrückt.
Den humoristischen Gewinn
kann ich bislang noch nicht erkennen.
Man hört jetzt viel von Disziplin,
will alles recht beim Namen nennen,
bis auf den Grund der Dinge spüren,
um unbestechlich klar zu sein,
nicht an die alten Wunden rühren,
nichts überstürzen und beschrein,
man will kein Vorurteil bedienen
und unvoreingenommen sein,
so fährt der Laden wie auf Schienen
ins kommunale Eden ein.
Das ist so artig, dienstbeflissen,
fast protestantisch kommts mir vor.
Wo bleibt beim Wollen, Sollen, Müssen
das Chaos und sein hoher Chor?
Das bleibt nun mal in Stadt und Land
der Humus aller tiefen Dinge,
Es ist für Liebende das Band
und für die Nörgler eine Schlinge.
Wer will noch mal, wer hat noch nicht,
das Karussell braucht Trittbrettfahrer,
vergeßt den Spaß, das Lachen nicht,
die machen jede Seele klarer.
2. Stand – das Jubiläum
2015 ist das Jahr
der großen Jubiläumsfeier
für das, was ist, und das, was war,
im zweiten Jahr des Ingo Meyer.
1200 Jahre ist es her,
daß Ludwig, Karls des Großen Sproß,
im Hildesheimer Wäldermeer
das eine oder andere Reh erschoß,
natürlich nur mit Pfeil und Bogen
und unter Einsatz von Prälaten,
die mit ihm durch die Wildnis zogen,
weil sie sonst nichts zu schaffen hatten.
Ein Dämel hat dann, wie man weiß,
ein Liturgiebuch liegenlassen.
Das hatte damals seinen Preis,
denn sowas gab es nicht in Massen,
und wenn es schieflief, dann verlor
er deswegen sogar den Kopf,
In diesem Fall kam das nicht vor,
denn Gott war mit dem armen Tropf
und hat das Buch in eine Rose
wie in Geschenkpapier geschlagen.
King Ludwig warf sich prompt in Pose
Und ließ sich das nicht zweimal sagen:
Das ist wohl Gottes Wort und Rat,
hier werde ich ein Bistum gründen,
das einen Rosenfimmel hat,
den alle ganz bezaubernd finden.
Für Elze ist das dumm gelaufen.
Dort war das Bistum einst geplant.
Doch Gott läßt sich nun mal nicht kaufen,
und wenn, mit Hildesheimer Land.
Warum ich das solang berichte
beim Thema Jubiläumsfest.
Ganz einfach, weil die Stadtgeschichte
Sich nur mit Gott begreifen läßt.
Gesetzt den Fall, in Elze wäre,
nun doch das Bistum hingekommen,
dann stünde hier die Elzer Leere
und nichts von Ludwig, unserem Frommen.
Nein, Leute, unsere schöne Stadt
ist nur im Glauben zu verstehen,
denn Gottes war die erste Tat,
das muß ein wacher Geist doch sehen.
Aus pastoraler Sicht ist klar,
daß Hildesheim in Grund und Wesen
schon immer Kirchenlandschaft war,
man muß nur die Geschichte lesen.
Hier trägt doch jeder Bischofsnamen,
und Bernward steht auf jedem Schild,
Inbrunst steckt hier in allen Samen,
hier ist das Christentum noch wild.
Man sieht vor lauter Kirchentürmen
den unverstellten Himmel nicht,
und daß die Glocken samstags stürmen
ist sein akustisches Gesicht.
Hier riechts nach Glauben allerorten.
Dann lasst uns doch das Ding vollenden,
2015, und mit Worten
und Taten die Geschichte wenden.
Ich schlage vor, im nächsten Jahr
all unsere Bürger zwangszutaufen,
so wie das früher üblich war,
und nicht einfach davonzulaufen,
weil jemand sagt oder so tut,
er hätte seine Sicht der Dinge
und mit der Kirche nichts am Hut.
Und wer Meinung ist, das ginge
nicht an von wegen Menschenrechte
und Grundgesetz, Artikel vier,
dem sage ich; wenn ich so dächte,
dann stünde ich heute nicht hier.
Denn Hildesheim, ich wiederhole,
ist Gottes Gründung, und wer hier
sein Leben fristen will, besohle
sich geistlich, er sei eine Zier
des Glaubens – oder der Synode,
so wie es bei Frau Lembke geht,
die trägt jetzt Kirchenleitungsmode.
So geht das, wenn man es versteht.
Ich schlage vor: den Baurat Brummer
als Kirchbaufachmann im Quartier.
Da spart die Kirche manchen Kummer,
und er blieb länger im Revier.
Wir rufen Warnecke zurück,
was soll denn der in Braunschweig hocken.
Der brachte uns doch allen Glück,
katholisch bis in seine braunen Locken.
Frau Kuhne hab ich auch schon lange,
nicht mehr im Gottesdienst gesehn.
Sie ist doch sonst nicht allzu bange,
die kann schon Kirchendeutsch verstehen.
Sie könnte Cellerarin heißen
für städtische und Kirchensteuern
und dann den Landkreis niederreißen,
um endlich einen Sieg zu feiern.
Die Sedanstraße wird ein Kloster,
und Schröder wird der erste Abt.
Herr Jöring sorgt als kurzbehoster
Pedell dafür, daß alles klappt.
Wer saufen will, der soll das machen,
aber als Mönch im Klostergarten,
mit großen Flaschen, nicht mit flachen,
und muß nicht auf die Bullen warten.
Am Hochschulstandort Hildesheim
wird dann als zweites Fach zur Pflicht
Religion als Frucht und Keim …
Ich seh euch an, ihr glaubt mir nicht!
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Hier ist der Stand für große Gesten.
Wer will die Torte ins Gesicht?
Der komme her, hier sind die Besten!
3. Stand - Die Outings
Wir kommen nun zur Achterbahn
mit steilen Anstiegen und Hängen,
aus der man schneller fallen kann,
als ein Orchester aus den Klängen.
Wer ist, blickt man erstaunt zurück,
nicht alles aus der Spur geflogen?
Manchmal erreicht der eigene Blick
nur noch den Abschwung in den Bogen,
mit dem ein Fixgestirn verschwindet,
das jahrelang am Himmel stand,
mit dem Vertrautheit uns verbindet,
die aber ebenfalls verschwand.
Daß unsere alte deutsche Bank
notorisch krumme Dinger dreht,
das wußten wir schon ziemlich lang,
doch daß das immer noch so geht,
ja, auch Methode hat und Stil,
der billig, simpel und gerissen
schlicht nichts als Beute machen will,
das ist nicht schön, das ist beschissen.
ADAC, auch so ein Fall.
Einst so was wie ein Samariter,
der seine Hände überall
zur Hilfe reicht, und nun, wie bitter,
als gelbes Untier reüssiert,
das alles frißt, was Geld verspricht,
und jedes Schamgefühl verliert.
Doch ganz so dämlich sind wir nicht.
Die Engel sind jetzt abgeschmiert.
Sie hatten zwar in vielen Jahren
Vertrauensrankings angeführt,
weit vor den Leuten mit Talaren,
aber so ist das mit Gewinnen:
Zuviel davon macht alles naß,
mag man auch noch so hehr beginnen.
Denn: auf die Sünde ist Verlaß.
Das schönste Ding über Moral
ist Alice Schwarzers Steuersache.
Ich bin kein Fachmann für den Fall,
und wenn ich auch den Fehler mache,
zu lästerlich davon zu reden,
dann liegt doch hier des Pudels Kern:
Mit der Moral bekommt man jeden,
doch Weisheit ist ein anderer Stern.
Moral ist eine Modedroge,
die Leute ganz besoffen macht.
Man surft auf der Empörungswoge:
„das hätte ich ja nie gedacht“ …
die Schwarzer, der ADAC,
die Stiftung Warentest sogar,
der Hoeneß, Mann, was tut das weh,
wenn man bedenkt, wies früher war …
Ich höre die Trompetentöne:
Gesetze müssen schärfer werden!
Gemach. So singen auch die Schwäne
an ihrem letzten Tag auf Erden.
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Hier darf man auf die Bösen schießen.
Mal trifft man, und mal trifft man nicht.
Ach, Leute, laßt euchs nicht verdrießen!
4. Stand – die katholische Kirche
Den schönsten aller Jahrmarktstände,
den finden wir in diesem Jahr
auf kirchlich – römischem Gelände,
wo er zwar früher auch schon war,
doch dieses Mal ist das Vergnügen
besonders reich, tief und komplex,
es geht um Lust in vollen Zügen,
um Gott, um Geld – ein bißchen Sex.
Franziskus hatte übernommen,
und plötzlich stieg die Liebesflut.
Es war durch nichts ihr beizukommen.
Der Mann war durch und durch nur gut.
Beängstigend für unsereinen.
Wir habens eher mit den Sündern,
weswegen wir ja schwarz erscheinen
und Gruseln spielen mit den Kindern.
So unverfroren alles lieben,
als wäre der Herr Jesus da,
ist das nicht etwas übertrieben?
Gott sagt doch nicht zu allem Ja …
In Argentinien mag das gehen.
Das ist ein junger Kontinent,
die können das noch anders sehen
im kirchlichen Establishment.
Franziskus liebt die Welt zurecht,
berührt die Fertigen, die Schwulen,
er macht nicht mal den Putin schlecht
und stört den Puler nicht beim Pulen.
Er überstrahlt mit seinen Gesten
den kümmerlichen Alltagskram
der pfarrgemeindlichen Gebresten
und ihre ängstlich – stille Scham.
Aus vollem Rohr möchte man trompeten:
Ach, Glaube ist ein tolles Leben.
Laßt uns nur singen, tanzen, beten,
so bringen wir die Welt zum Beben.
Das klang so schön. So himmlisch eben.
Dann aber kam als schwere Panne
mitten hinein ins fromme Leben:
Franz – Peters große Badewanne.
Die steht in Limburg. Ohne Wasser.
Der Bademeister ist versetzt,
was die vertrauten Kirchenhasser
aufs allerlieblichste ergötzt.
So stellt sich Oma Piepenbrink
korruptes Kirchenwesen vor:
die Pfaffen nehmen ihren Drink
und flüstern sich vergnügt ins Ohr:
Gott sei gepriesen allerorten
für seine monetäre Huld.
Wir rahmen sie mit schönen Worten,
für die Gemeinde reicht Geduld.
Laßt es uns bauen, unser Schloß,
daß Gott selbst daran Freude hätte,
vom filigranen Dachgeschoß
bis in die Tiefen der Toilette.
Ein Prachtbau wie in alten Tagen:
Ein fürstliches Gelaß zum Ruhm
des Himmels und all seiner Pagen,
Franz – Peters kleines Heiligtum.
Das steht nun leer und schamvoll rum.
Die Leute sehen nichts, sie fühlen:
schön ist es doch, egal wie dumm
die Leute sind, die damit spielen.
Wer soll nun an den Tischen speisen
und durch die Tiefarkaden wandeln?
Solch ein Palast darf nicht verwaisen,
den kann man nicht mehr runterhandeln.
Er soll als Armenküche dienen.
So die sozialen Demokraten.
Verkrampfte Philanthropenmienen!
Da riecht Moral aus diesem Braten.
Man sollte es einfach verkaufen.
So die Fraktion der Unternehmer.
Dann sollte man es gleich versaufen.
So schlicht es ist, das ist bequemer.
Nein, Leute, da denk ich katholisch,
so ein Palast, der ist doch toll,
zwei Jahre tut man melancholisch,
dann ist die Wanne wieder voll,
ein neuer Bischof wird bestimmt,
Franziskus hat gewiß noch welche,
und wer dann in der Wanne schwimmt,
der wird verbannt ins Land der Elche.
Und ein paar Jahrzehnte weiter
kommt die UNESCO angereist,
und adelt angeregt und heiter
das Welterbe, das dann so heißt.
Langfristig muß man sowas denken,
der Jahrmarkt ist ja nicht nur heute.
Mit leichtem Drücken, Ziehen, Lenken
bekommt man auch die sturen Leute.
Die sind dann stolz auf ihre Hütte
in Limburg oder anderswo,
als Preziose in der Mitte
setzt sie am Ende das Niveau.
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Der Mist von heute wird zum Dünger.
Hast du auch Torte im Gesicht,
dann wisch sie ab, du hast ja Finger.
5. Stand – Abschied vom Chefredakteur
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Wir gehen im Jahrmarktstrubel weiter.
Wer kriegt die Torte ins Gesicht
und bleibt dabei entspannt und heiter?
Da steht einer wie ein Symbol
und grillt sich seine Currywurst.
Er fühlt sich unanständig wohl
trotz Schickalsmüh und Lebensdurst…
Man konnte es nun mehrfach lesen
in Blättern, die die Welt bedeuten:
die Ära Reichardt ist gewesen.
Nach 18 Jahren: andere Zeiten.
Man sagt, das würde auch bedauert.
Ich nehme das betroffen hin.
Denn wenn nur irgendeiner trauert,
dann hatte das, was war, schon Sinn.
Und Sinn – das ist ein rares Gut
bei Zeitungs- und bei Medienfritzen.
Der ist zu still und will partout
nicht in der ersten Zeile sitzen,
da wo die großen Lettern prangen,
die scharf auf das Interesse sind.
Zum Sinn, da kann nur der gelangen,
der sich bereit hält wie ein Kind.
Der Reichardt lernt nun ja das Fliegen,
schaut sich die Welt von oben an,
um einen Überblick zu kriegen:
hätt er das vorher bloß getan!
Ja, manche sollten fliegen lernen,
bevor sie über Leute schreiben
und sie zerstören und entkernen,
ohne zu merken, was sie treiben.
Der Wulff ist ja nun freigesprochen.
Sie wissen schon, aus Großburgwedel.
Dem hat man das Genick gebrochen
durch scheinmoralisches Gedödel.
Vor Jahresfrist war ausgemacht,
und alle haben es geschrieben:
der Mann ist lauter Niedertracht.
Dann wurd er aus dem Amt getrieben.
Jetzt aber hört man ganz verblüfft,
das war doch alles überzogen.
Niemals hat er gekokst, gekifft,
er hat noch nicht mal arg gelogen.
Aber Herr Anwalt Eimterbäumer,
der wollte dennoch alles wissen
und langte in den großen Eimer.
Schon der Geruch sagt: nein, beschissen.
Ich finde dieses Kokettieren
mit Hochmoral und Tugendsinn
bei denen, die die Federn führen,
selbst als moralischen Ruin.
Da sitzt der Landwirtschaftsminister
ganz plötzlich draußen vor der Tür,
fragt sich zurecht. Herrgott, wer ist der,
der mich verfolgt? Kann ich dafür?
Es muß nur einer ahnungsvoll
irgendein Vorkommnis vermuten,
dann wird die ganze Meute toll
und wird in die Posaune tuten.
Man fordert Köpfe ohne Fakten,
man richtet auf Vermutung hin,
man fordert von uns vollbeknackten
Verbrauchern nur, uns hinzuknien
und diese Medienorgasmen
als Dienst am Menschen anzubeten.
Nein, redaktionelle Spasmen
sind das, und sie sind auszujäten.
Das ist kein Jahrmarkt mehr. Das ist
so was wie Treibjagd. Ohne Spaß.
Wer das begrüßt, ist ein Sadist,
und darum lassen wir jetzt das.
Epilog
Der Rummelplatzbesuch ist aus.
Die Leute haben Spaß gehabt.
Zum Schluß geht jeder in sein Haus.
Dann kommt der Alltag angetrabt.
Das hört sich so frustrierend an.
Erst wars so schön und dann so lahm.
Man beißt ins Leben, wenn man kann,
und wenns vorbei ist, bleibt die Scham.
Ich sage euch, ihr Gottessucher,
beißt nochmal in das Leben rein,
es geht hier nicht um Schnäppchenbucher,
das Leben läßt sich nicht beschrein,
denkt an die Lust der ersten Tage
der Schöpfung, wie das alles lief,
da war kein Seufzen, keine Klage,
es lief nicht einmal etwas schief,
das war ein Wurf, von dessen Schwung
noch heute alle Dinge leben,
und darum kann, ob alt, ob jung,
jeder von sich das Beste geben.
Das Leben ist nicht kleinzukriegen.
Vertut euch nicht beim großen Heulen.
Die Zeiten werden schwerer wiegen,
in denen wir das Leben teilen.
Es will nun mal gefeiert werden,
egal auch, unter welchem Namen,
so wie im Himmel auch auf Erden,
von dir, von mir, von uns. Und: Amen.