O-Töne der Katastrophe

Nachricht Hildesheim, 19. September 2014
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Letzte Hoffnung Europa: Flüchtlinge aus Afrika vor Lampedusa. Foto: Archivio Storico Lampedusa / Fabio Giovanetti 

Szenische Lesung zum Flüchtlingsdrama vor Lampedusa am 4. Oktober im Literaturhaus St. Jakobi Hildesheim

Hildesheim. Vor einem Jahr sind 360 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, als ihr Boot vor Lampedusa sank. Seitdem ist der Name der sizilianischen Insel ganz Europa ein Begriff – und ein Synonym für die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten fliehen. „Lampedusa, 3. Oktober 2013“ ist der Titel einer szenischen Lesung, die nun im Literaturhaus St. Jakobi Hildesheim Augenzeugen zu Wort kommen lässt: fast am Jahrestag der Katastrophe, am 4. Oktober um 19.30 Uhr.

Er sei damals schockiert gewesen von den Nachrichten aus Italien, sagt Antonio Umberto Riccò. Der in Hannover lebende gebürtige Italiener hat damals die Projektgruppe „Mein Herz schlägt auf Lampedusa“ ins Leben gerufen und die Textvorlage für die Lesung entwickelt. „Wir wollten etwas tun, um die furchtbare Tragödie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen“, sagte Ricco am heutigen Freitag bei einer Pressekonferenz im Literaturhaus St. Jakobi.

Die Textcollage besteht überwiegend aus Kommentaren von Augenzeugen – Geretteten, Fischern, TouristInnen, PolitikerInnen wie der Bürgermeisterin von Lampedusa. Es gehe darum, Fragen zu stellen, erläutert Ricco das Konzept, nicht vorgefertigte Antworten zu liefern. Denn, so der Autor, „Antworten zu geben, ist, glaube ich, in dieser Situation sehr schwierig.“ 

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Autor Antonio Umberto Riccò, Hedwig Mehring von der Caritas und Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen nahmen im Literaturhaus St. Jakobi zur Tragödie vor Lampedusa Stellung. Foto: Neite 

Diese Herangehensweise habe auch den niedersächsischen Flüchtlingsrat überzeugt, sagt dessen Geschäftsführer und Projektkoordinator Kai Weber. Dem Flüchtlingsrat würden öfters Theaterstücke angeboten, die immer gut gemeint, oft aber auch etwas penetrant seien. „Lampedusa, 3. Oktober“ wirke ganz anders, weil die O-Töne der Beteiligten für sich sprächen und immer wieder auch von Hilfe und Solidarität berichteten.

Die Augenzeugen können bei der Lesung freilich nicht selbst zugegen sein. Studierende der Universität werden ihnen ihre Stimmen leihen. Als Bindeglied zwischen den Texten dient Musik, die Francesco Impastato aus Hannover eigens dafür geschrieben hat. Er wird sie am 4. Oktober – im Unterschied zu den meisten anderen Aufführungen – auch selbst spielen und singen. Projektionen mit Bildern und ergänzenden Informationen werden das dritte Element der szenischen Lesung sein, die bis Ende des Jahres an mehr als 40 Orten in ganz Deutschland zu sehen gewesen sein wird.

Viele dieser Aufführungen werden von der Caritas mit unterstützt, auch der Abend in Hildesheim. Die Lesung sei eine neue, gute Methode, um die Flüchtlingsproblematik in die Gesellschaft hinein zu tragen, so Hedwig Mehring vom Caritasverband der Diözese Hildesheim. Sie passe zudem inhaltlich zum Jahresthema der Caritas „Weit weg ist näher als du denkst“.

Eine zusätzliche Nähe machte Intendant Dirk Brall zum Jahresmotto des Literaturhauses aus: Meer. Bei der Spielzeiteröffnung habe das Meer, genauer: der Pazifik, eher als Tröster fungiert, sei dann bei Lutz Seiler und „Kruso“ die Ostsee zur Grenze geworden, nun trete das Mittelmeer als „wichtiger politischer Raum“ in Erscheinung.

Im Anschluss an die Lesung wird es noch ein Podiumsgespräch geben sowie eine Informations- und Kontaktbörse. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird jedoch gebeten. Sie fließen in voller Höhe in die Arbeit des Flüchtlingsrats und der Caritas. Nähere Informationen: www.stjakobi.de. Ralf Neite