„Klar wird: Man soll nicht zugucken“

Nachricht Hildesheim, 21. März 2014
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Beim diesjährigen Kreuzweg der Jugend werden Wünsche ans Kreuz genagelt. Foto: Luke Neite

Der ökumenische Kreuzweg der Jugend in der Andreaskirche schockiert, informiert und fordert zum Handeln auf

Hildesheim Was können wir tun, wenn wir nichts mehr tun können? „Bäume pflanzen“, „träumen“ und „beten – tatsächlich beten“. Auf kleinen Post-it's festgehalten, bietet die Station einer 8. Klasse der Michelsen-Schule viele mögliche Antworten. Inspiriert vom Isenheimer Altarbild hatten die SchülerInnen drei Wochen Zeit, ihren Beitrag zum diesjährigen ökumenischen Kreuzweg der Jugend zu gestalten. Die Blickrichtung der Jugendlichen: Was macht Leiden, wo betrifft es mich und wie stelle ich das dar?

Die Vorlage, der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, sollte der Erbauung von Pestkranken im frühen 16. Jahrhundert dienen. Er zeigt den gekreuzigten Jesus, leichengrün, abgemagert und von Narben und Pusteln verunstaltet. Als Gegenentwurf dazu dient der Liedruf „Jener Mensch Gott“, er ist aufbauend und gibt kreative Anstöße, das Leid als Handlungsaufforderung zu begreifen.

Die Jugendlichen tun genau das. In sieben Stationen, die bis zum 27. März in der Andreaskirche aufgebaut sind, zeigen sie zunächst viele Arten des Leidens – Sucht, Hunger, Krieg, die Folgen von Massentierhaltung, Bilder von Flüchtlingsbooten und Zeitungsartikel über sexuellen Missbrauch. Doch liegt der Fokus nicht auf der Darstellung von Leid, sondern auf dem Umgang damit und den Konsequenzen, die man daraus zieht. Schülerinnen einer sechsten Klassen der Michelsenschule, die den Kreuzweg besuchen, beschreiben ihre Eindrücke: „Gut finde ich, dass klar wird, man soll nicht zugucken, sondern helfen“, sagt Sophie (11). „Die Bilder des Altars sind sehr heftig, so was bekommt man sonst nicht zu sehen, aber es ist auch wichtig sich mit diesen Themen zu beschäftigen.“, pflichtet ihr Hannah (12) bei. 

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Die Hildesheimer Klagemauer: Schüler der Michelsenschule beim Besuch des ökumenischen Kreuzwegs der Jugend. Foto: Luke Neite 

Und es gibt Hoffnung. Sie wird auf gelbe Zettelchen geschrieben und an ein Holzkreuz genagelt. Viele der SchülerInnen wünschen sich Glück in der Familie, Frieden auf Erden, oder auch „Laura für imma bei Mia! For eva!“ Eine Station weiter steht Ina (11) mit großen Augen vor einem Kreuz aus alten Akkordeonkoffern. Jeder Koffer beinhaltet Infomaterial und eine kleine Installation. Alle lachen, als sie das zum Thema Massentierhaltung gehörende Plastikschwein quieken lässt. Später berichtet sie fröhlich: „Ich war mal wegen etwas traurig, das hab ich jetzt auf einen Zettel geschrieben und in die Klagemauer gesteckt - das hilft wirklich!“

Über 33 Gruppen haben den Kreuzweg dieses Jahr schon besucht, einzig die geringe Zahl erwachsener Besucher betrübt Diakon Waltemate vom evangelischen Kirchenkreisjugenddienst. „Eigentlich müsste es Kreuzweg von Jugendlichen heißen, da er Menschen aller Altersklassen anspricht.“ Er ist beeindruckt von der „Lebensäußerung der Jugendlichen“. Der Zugang der KonfirmandInnen und SchülerInnen aus dem Kreis Hildesheim zum Thema zeige sich als individuelle Suche nach Antworten. Und er staunt darüber, dass ein Altarbild aus dem 16. Jahrhundert so universell gestaltet ist, dass es heute noch junge Menschen anrührt und ihre Kreativität anregt.

Bis zum 27. März sind Alt und Jung eingeladen, den Kreuzweg zu gehen, Bilder und Texte auf sich wirken zu lassen. Und wer es noch nicht weiß: „Es ist cool aufzuschreiben, was einem Sorgen macht.“