Loccum/Hildesheim. „Evangelische Kirchenmitglieder nutzen das Internet insgesamt seltener als Konfessionslose“, sagt Dr. Christina Constanza von der Uni Göttingen. Ist das gut oder schlecht? Oder beides? Diese Fragen diskutierte der Pfarrkonvent des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt bei einem dreitätigen Kolleg im Kloster Loccum. Die Überschrift: „Web 2.0 und unsere kirchliche Kommunikation“.
Beim Pfarrkonvent kommen die Geistlichen, die Diakone und Diakoninnen des Kirchenkreises zusammen. Insgesamt 40 waren in Loccum dabei und brachten unterschiedlichste Voraussetzungen mit: Einige nutzen das Internet nur selten, eine ganze Reihe ist bei Facebook unterwegs, einzelne besprechen ihre Predigtentwürfe in einem Facebook-Forum mit Kollegen und Kolleginnen in ganz Deutschland.
Dr. Christina Constanza, Pastorin und Systematische Theologin, hielt den Kernvortrag und wies auf soziologische Verschiebungen hin, die die verstärkte Nutzung sozialer Netzwerke wie Facebook oder Twitter erzeugt: Individualisierung, Anonymisierung, Globalisierung, Beschleunigung, Wiederholbarkeit und Flüchtigkeit nannte sie als wichtige Tendenzen. Jede einzelne enthalte positive und negative Aspekte, betonte Christina Constanza. So sei es gewiss hilfreich, dass Wissen heute so schnell parat ist wie nie zuvor. Andererseits steige der Erwartungsdruck, dass Informationen immer sofort verfügbar sein müssten.
Dass evangelische Christen Umfragen zufolge weniger im Netz aktiv sind als andere Menschen, bedeutet nicht, dass sie seine Möglichkeiten nicht nutzten. Dr. Constanza stellte diverse evangelische Plattformen zum Informations- und Erfahrungsaustausch vor. Dazu gibt es Gemeinden, in denen der KonfirmandInnenunterricht teilweise über Facebook stattfindet, Blogs (also Internet-Tagebücher) von Kirchenoffiziellen und Privatiers, den bayrischen „Facebook-Bischof“ Heinrich Bedford-Strohm oder auch Skurriles wie Andachtsdialoge bei Twitter, in denen die Kirchenglocken schriftlich läuten: „Dongdongdongdongdong“.
Manches mag man seltsam finden. Doch längst gehe es nicht mehr um die Frage, ob man für oder gegen das Social Web sei, so Hildesheims Superintendent Helmut Aßmann: „Es kommt jetzt darauf an, dass die Dinge nicht mit uns spielen, sondern wir mit ihnen.“ Bisher fehle allerdings eine „Ethik des Umgangs mit Geräten“. Aßmann: „Es gibt Verbotsregeln, aber das hilft nicht wirklich weiter.“
Die These, dass Kinder und Jugendliche von den Möglichkeiten des Internets heillos überfordert seien, vertrat Jens Wiemken von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt in Hannover. Auch er befand, dass Verbote nichts bringen. Vielmehr müssten Kinder lernen, wie sie sich gezielt und sinnvoll im Internet bewegen können. Das aber habe Auswirkungen auf das Bildungsideal der Gesellschaft und die Art der Wissensvermittlung in den Schulen.
Zu den konkreten Ergebnissen der Tagung gehört, dass der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt vor allem in der Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen das Web 2.0 und die damit verbundenen Herausforderungen stärker in den Blick rücken will. Dazu wird auch eine eigene Netz-Ethik gehören. Helmut Aßmann fasst die Eindrücke aus Loccum so zusammen: „Prüft alles, behaltet das Beste!“ Vor diesem Hintergrund sei es vielleicht gar nicht schlecht, dass die Kirche ein etwas langsameres Tempo halte und nicht bei jeder überhitzten Entwicklung sogleich einsteige. Ralf Neite