Evangelische Gemeinden in Hildesheim, Harsum, Diekholzen und Barienrode befinden sich im Umbruch
Landkreis Hildesheim. Früher war die Kirche so selbstverständlich wie das Wetter. Das ist vorbei, heute muss sie ihre Position neu bestimmen. Wie unterschiedlich das aussehen kann, erlebte Superintendent Helmut Aßmann, als er die evangelischen Gemeinden in Harsum, Barienrode, Diekholzen sowie in Ochtersum, im Vier Linden-Viertel und im Norden Hildesheims visitierte. „Die Martin-Luther-Kirchengemeinde Nordstadt-Drispenstedt stellt in nahezu jeder Hinsicht einen Sonderfall dar“, meint Aßmann nach diesem offiziellen Besuch, der alle sechs Jahre stattfindet.
Drispenstedt, Nordstadt, Stadtfeld und Fahrenheit bieten Aßmann zufolge einen Ausblick, wie und wohin sich die Kirche in einer veränderten Gesellschaft entwickeln kann. Dieser Teil Hildesheims sei „multireligiös und multikulturell wie kein anderes Wohngebiet im Kirchenkreis“, sagt der Superintendent. Als Beispiel nennt er „Käthes Nest“, den Kindergarten der Martin-Luther-Gemeinde: 90 Prozent der Kinder dort stammen aus Familien mit Migrationshintergrund, 70 Prozent sind muslimisch.
Schon jetzt ist das ökumenische Leben in der Nordstadt weiter entwickelt als anderswo im Kirchenkreis. Helmut Aßmann könnte sich vorstellen, irgendwann einmal Martin Luther und St. Johannis in Simultankirchen zu verwandeln – also Gotteshäuser, die von beiden Konfessionen genutzt werden. Konkrete Absichten oder gar Pläne gibt es allerdings noch nicht. Auch sei es denkbar, so Aßmann, dass klassische Gottesdienstformen einmal nicht mehr so im Zentrum stünden wie bisher, sondern neue „spirituelle Formate“ zum Tragen kommen – „beispielsweise Gesprächsformen, an deren Ende Rituale gefeiert oder besondere Gebete gesprochen werden. Segnungen. Die rituelle Aufwertung von Essenskultur wie beim Feierabendmahl“.
Solche Ideen beträfen nicht nur die Ökumene von katholischen und evangelischen Christen, sondern auch das Miteinander mit anderen Religionen, fügt Helmut Aßmann hinzu. Er plädiert dafür, mehr Interreligiosität zu wagen: „Glaubt an Gott und seid mutig!“
In den übrigen Gemeinden fand der Theologe bei seiner Visitation viele Übereinstimmungen: eine bürgerlich geprägte Bevölkerungsstruktur, selbstbewusste und handlungsfreudige Kirchenvorstände, ausgefeilte Systeme ehrenamtlichen Engagements, die Entwicklung klarer inhaltlicher Profile. Die Lukasgemeinde in Ochtersum und die St.-Andreas-Gemeinde in Harsum haben eine starke Jugend- und Familienarbeit; die Markusgemeinde im Vier-Linden-Viertel ist diakonisch besonders aktiv und firmiert zudem als Gospelkirche; Auferstehungsgemeinde Diekholzen und Titusgemeinde in Barienrode legen ihr Schwergewicht auf Fragen der Glaubens- und Gottesdienstpraxis.
Es gibt noch eine Gemeinsamkeit, so Helmut Aßmann: „Alle sind chronisch unterfinanziert.“ Und das sei dann auch eine Schnittfläche zu den Hildesheimer Nord-Vierteln. Wobei der Superintendent die Finanzen nicht als Hauptthema betrachten mag: „Wir gehören zu den reichsten Kirchen der Welt“, sagt er, und obendrein gelte: „Der Glaube wächst nicht mit dem Einkommen.“ Dies werde auch in den Gemeinden überwiegend so gesehen: „Der Grundton ist nicht Jammern.“
Statt dessen sei in ausnahmslos allen besuchten Gemeinden ein geschärftes Bewusstsein anzutreffen, sich dynamisch und kreativ in das Leben der Ortsteile oder politischen Gemeinden zu einzubringen. „Diese Entwicklung finde ich ausgesprochen gut“, sagt Helmut Aßmann, „wir möchten einen Lebensraum bieten und den christlichen Glauben als Lebensmodell.“ Seine Bilanz nach drei Monaten, in denen er kirchliche Gremien, politische und gesellschaftliche Institutionen besucht hat: „Wir haben außergewöhnlich engagierte Gemeinden mit hervorragenden Pastorinnen und Pastoren. Es ist einfach ein toller Laden.“