Mit Almdudler und Alphörnern auf den Berg

Nachricht Hildesheim, 09. September 2016
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Hoch hinaus: Das Literaturhaus eröffnete seine Spielzeit "Berg" mit Sylvie Schenk. Foto: S. Brall

In seiner dritten Spielsaison will das Literaturhaus St. Jakobi hoch hinaus. Nach dem Themen „Meer“ und „Wald“ schließt es seine Trilogie der Großlandschaften und widmet sich dem Berg. Der eingangs servierte Almdudler, das Bühnenbild, ein abstrakt nachempfundener Gipfel, den der junge Designer Benjamin Groß entworfen hat, und ein Alphorntrio lassen daran keinen Zweifel.

Ebenso wenig Intendant Dirk Brall, der in seiner Rede nicht nur das Publikum im voll besetzten Kirchraum begrüßt, sondern sich in erster Linie bedankt, „für diesen Ort, für die Zeit, die wir hier haben, und für die Möglichkeiten“. Letztere erhält das Literaturhaus vor allem durch die Unterstützung der Hannoverschen Landeskirche sowie der evangelischen Hanns-Lilje-Stiftung, die die Hildesheimer Institution in ein vierjähriges Förderprogramm aufgenommen hat und so „den Dialog der Kirche mit der Literatur“ fördern will, wie es die Vorsitzende des Kuratoriums, Carola Schwennsen, in ihrem Grußwort formuliert.

Zur Eröffnung ist die Autorin Sylvie Schenk ins Literaturhaus gekommen. Sie liest einen Auszug aus ihrem Roman „Schnell, dein Leben“, in diesem Jahr im Münchner Hanser-Verlag erschienen. Es ist eine Passage, die sie auch beim Bachmannwettbewerb, dem jährlich in Klagenfurt ausgetragenen Wettlesen um einen der wichtigsten Preise des deutschsprachigen Literaturbetriebs, vorgetragen hat.

„Die Natur“ heißt sie und beschreibt einen Spaziergang in den Bergen: „Hinter dem Dorf des Dienstmädchens schlängelt sich ein Pfad zu den Gipfeln hinauf, du gehst durch einen Lärchenwald und über Wiesen, zwischen Schafen, Ziegen und Kühen hindurch, und falls die Tiere die Hänge noch nicht abgegrast haben, schiebt sich dir ein Kaleidoskop vor die Augen. Vergissmeinnicht, Enzian, Azaleen, Astern, Edelweiß. Du pflückst Sträuße im Jubelrausch.“
Schenks Sprache ist schlicht und kraftvoll, und sie folgt einem Rhythmus, der die Geschichte in Gang hält und nie langweilig werden lässt.

Eine „Befreiungsgeschichte“, wie der Hanser Verlag sie nennt, das Leben einer Frau aus den französischen Alpen, die sich während des Studiums in einen Deutschen verliebt und sich an seiner Seite behaupten muss. Sylvie Schenk, 1944 ebenfalls in Frankreich geboren, liest mit unüberhörbarem Akzent. Etwas aufgeregt sei sie, sagt sie vorher noch, doch die Nervosität ist ihr auf der Bühne nicht anzumerken. Eher hat man das Gefühl, insbesondere im Gespräch mit Anne Hartwich von NDR Kultur, sie ist im eigenen Erfolg noch nicht so recht angekommen. Obwohl „Schnell, dein Leben“ bereits ihr achter Roman ist (neben Bänden mit Lyrik und Kurzprosa), wird die 72-Jährige von einem breiten literarischen Publikum gerade erst entdeckt.

Das mag auch daran liegen, dass ihr bisheriger Verlag, Picus in Wien, einfach nicht mit der emotionalen Schubkraft hinter der Autorin gestanden hat, wie es Hanser jetzt tut. Lektor Martin Kordić jedenfalls hat sie merklich ins Herz geschlossen. Als Intendant Dirk Brall sich bei ihm, dem ehemaligen Kommilitonen, nach einer Empfehlung für die Berg-Spielzeit umhörte, lautete Kordićs einziger Vorschlag: Sylvie Schenk. Die musste es sein, unbedingt, ohne Alternative, ohne Plan B. „Und er hatte Recht: Weil der Roman noch gar nicht erschienen war, durfte ich nicht die Fahnen, sondern nur den Klappentext lesen. Und war schon davon total begeistert“, sagt Brall. Kathi Flau

Begeistert ist auch das Publikum im Literaturhaus an diesem Abend. In Klagenfurt mag es für den Bachmannpreis nicht gereicht haben – in Hildesheim hat Sylvie Schenk alle Sympathien gewonnen.