1300 Menschen feiern Gedenkgottesdienst am 70. Jahrestag der Zerstörung Hildesheims
Hildesheim. Es war ein Gänsehaut-Moment, und das lag nicht an den frostigen Temperaturen: Rund 1300 Menschen hatten sich heute Mittag auf dem Hildesheimer Marktplatz versammelt, um der Zerstörung der Stadt vor 70 Jahren zu gedenken. In der Mitte des großen ökumenischen Freiluft-Gottesdienstes wurden die Besucherinnen und Besucher still, sie lauschten dem Geläut aller Hildesheimer Kirchen. Genau in diesem Augenblick mischte sich ein Motorengeräusch in den Glockenklang, ein Flugzeug zog über den Köpfen hinweg. Ein einzelner Sportflieger.
„Heute vor 70 Jahren war ein Donnerstag mit ähnlich schönem Wetter wie heute“, sagte Oberbürgermeister Dr. Ingo Meyer. Damals waren es 250 alliierte Bomber, die über die Stadt flogen. 75 Prozent der Gebäude wurden zerstört, mehr als 800 Menschen starben. An diesen Tag erinnerten sich heute die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt – aber auch an die nachfolgenden Jahre des Wiederaufbaus und der Versöhnung. Evangelische und katholische Kirche, Reformierte Gemeinde und Baptisten hatten gemeinsam eingeladen. Der 120-köpfige Hauptchor des Gymnasiums Andreanum sowie ein 40-köpfiger Posaunenchor aus dem evangelischen Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt gestalteten den Gottesdienst musikalisch.
Stadtdechant Wolfgang Voges entschuldigte sich für die „Naivität“ des ökumenischen Vorbereitungsteams: Man habe gedacht, 1000 Gesangszettel würden reichen. Dass der ganze Marktplatz mit Menschen gefüllt war, wertete OB Meyer als „beeindruckendes Zeichen“. „Heute besinnen wir uns auf das unvorstellbare Leid aller Opfer des Zweiten Weltkriegs“, sagte das Stadtoberhaupt. Es gelte, aus der Vergangenheit zu lernen.
Wie gut dies gelungen sei, zeige beispielhaft die Städtepartnerschaft mit dem englischen Weston-super-Mare. Meyer: „Aus erbitterter Feindschaft ist eine innige Freundschaft geworden.“ Am Tag zuvor hatten mehr als 2000 Menschen gegen einen Neonazi-Aufzug in Hildesheim demonstriert. Auch das sei ein klares Signal, dass Respekt und Verständigung in der Stadt einen hohen Stellenwert einnähmen, so Meyer.
„Die wieder aufgebaute Stadt ist das Zeichen, dass das Leben größer ist als der Tod und die Liebe größer als der Hass“, sagte Superintendent Helmut Aßmann. Hildesheim sei im Grunde nicht von den Bomben zerstört worden, sondern als „Konsequenz einer geistigen Verirrung“ und eines verfehlten Handelns. Die daraus resultierende Schuld dürfe die Menschen nun aber nicht lähmen, so Aßmann. Sie sei vielmehr als Verpflichtung zu sehen, sich aktiv für die Kräfte des Friedens einzusetzen – „nicht vor dem Tribunal der Geschichte, sondern vor dem barmherzigen Gott“.
Gemeinsam sprachen die Menschen auf dem Marktplatz das Friedensgebet von Coventry und baten um Vergebung für Hass, Besitzgier, Teilnahmslosigkeit, Missbrauch und Hochmut. Und dann, von 14 bis 14.15 Uhr gab es noch einmal ein großes Geläut aller Hildesheimer Kirchen. In dieser Viertelstunde war die Stadt vor 70 Jahren in Trümmern versunken. Ein kraftvoller Moment des Erinnerns – und ein eindrucksvoller Auftakt für das 1200-jährige Jubiläum der Stadt.
Bilder:
Zum großen ökumenischen Gedenkgottesdienst versammelten sich rund 1300 Menschen auf dem Hildesheimer Marktplatz. Foto: Neite
„Die wieder aufgebaute Stadt ist das Zeichen, dass das Leben größer ist als der Tod und die Liebe größer als der Hass“, sagte Superintendent Helmut Aßmann.
Im Anschluss an den Gottesdienst wurde an der Andreaskirche die von Gerd Winner geschaffene „Skulptur des Wortes“ eingeweiht.