Kein Notquartier: die Winterkirche

Nachricht Hildesheim, 28. Januar 2015
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Die Pastoren Detlef Albrecht und Jürgen Loest am Holzaltar im Andreas-Gemeindesaal – mit Blick auf die Andreaskirche, in der während des Winters keine Gottesdienste stattfinden. Foto: Neite

Im Winter sparen die Gemeinden Heizkosten und ziehen in kleinere Räume um

Hildesheim. Der Kirche geht es wie den meisten privaten Haushalten: Sie muss sparen. Viele Gemeinden ziehen deshalb im Winter um. Statt in zugigen Kirchen feiern sie ihre Gottesdienste lieber im Gemeindehaus oder anderen, kleineren Ausweichquartieren. St. Andreas und St. Lamberti in Hildesheim sind zwei Beispiele für eine Praxis, die überall im Landkreis zu finden ist: die „Winterkirche“.

Die evangelische St.-Andreas-Gemeinde wäre besonders gebeutelt, bliebe sie auch während der kalten Monate in der großen Bürgerkirche. Besonders unangenehm wird es, wenn Frosttemperaturen und starker Wind zusammen kommen. Dann sei es nicht einmal möglich, die Kirche auf die „Konzert- und Orchestertemperatur“ von 15,5 Grad aufzuheizen, berichtet Pastor Detlef Albrecht: „Es zieht wie Hechtsuppe, wir haben dann regelrechte Fallwinde.“ Das Thermostat der Heizung mag dann zwar 15 Grad anzeigen: „Aber gefühlt ist das wie nicht geheizt.“

Nach dem Erntedank-Gottesdienst bis kurz vor Ostern weicht die Gemeinde in den benachbarten Gemeindesaal im Andreashaus aus. Ausnahmen gibt es lediglich für besondere Gottesdienste an Feiertagen und im Advent, dann wird das große Gotteshaus angeheizt. „Viele sind natürlich enttäuscht, wenn der Gottesdienst nicht in der Kirche stattfindet“, sagt Detlef Albrecht. Doch die Menschen hätten Verständnis für die Entscheidung. Durch den Umzug spart die Gemeinde an die 30.000 Euro im Jahr.

Ganz so extrem fällt der Unterschied in St. Lamberti nicht aus, wo die Winterkirche erst im Januar beginnt. Doch auch hier spart die Gemeinde – je nach der Härte des Winters – 5000 bis 10.000 Euro. Als Ausweichort dient die Kapelle auf dem Lamberti-Friedhof – eine Lösung, die nicht durchweg auf Zustimmung stößt, weil mit der Kapelle in erster Linie Beerdigungen verbunden werden. Doch es sei immerhin ein sakraler Raum, ausgestattet mit einer Elektro-Orgel und leicht heizbar, erklärt Pastor Jürgen Loest. Der Gemeindesaal am Neustädter Markt sei zwar eine denkbare Alternative, habe aber den Nachteil, dass er im ersten Stock liege und für ältere oder gehbehinderte Menschen nicht gut erreichbar sei. Zur Zeit wird der Saal zudem renoviert, so dass er ohnehin nicht zur Verfügung steht.

Die Gemeinden würden immer kleiner, damit sänken auch die Einnahmen, betont Loest. So werde es immer schwerer, Kirchen und andere Gebäude zu unterhalten. In St. Lamberti komme erschwerend dazu, dass die Gemeinde ein Viertel der Kantorenstelle selbst erwirtschaften müsse. Das gehe ohnehin nur mit der Unterstützung des Freundeskreises, sagt Loest, aber man müsse eben auch an allen Ecken und Enden sparen. Eine Ausnahme bildet die „Musik zur Marktzeit“, die auch im Winter in der Kirche stattfindet. Jeden Samstag kommen 120 bis 250 Menschen, ihre Spenden decken die Heizkosten.

„Die Winterkirche ist kein Notquartier“, findet Jürgen Loest. Gottesdienste in kleineren Räumen hätten den Vorteil einer größeren Nähe und wärmeren Atmosphäre – nicht nur klimatisch. In diesem Umfeld könne man gut andere Gottesdienstformen ausprobieren wie die Diakoniegottesdienste mit anschließenden gemeinsamen Mittagessen im vorigen Jahr. Detlef Albrecht stimmt zu: „Ich mag den Wechsel.“ Im Andreashaus werden zwar nur „normale“ Gottesdienste gefeiert, für die anderen Formate gibt es die Andachtsreihe „Andreas um 6“. Doch sie haben ihren eigenen Reiz, was unter anderem daran liegt, dass die Lieder nicht auf einer Orgel, sondern am Flügel begleitet werden.

Eine spezielle Lösung des Problems habe er von einer Gemeinde im Harz gehört, erzählt Jürgen Loest: Dort wird in der kalten Kirche ein 30-minütiger Kurzgottesdienst gefeiert, anschließend gibt es heiße Getränke im Gemeindesaal.