„Häng Dein Herz nicht daran“

Nachricht Hildesheim, 17. Oktober 2015
helmut assmann 18.6.12

Interview zu Chancen und Gefahren mit dem scheidenden Superintendenten Helmut Aßmann

Mehr als zehn Jahr war Helmut Aßmann Superintendent im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt. Nun wechselt er nach Hannover, um Landeskirchenamt die Leitung des Referates für Aus-, Fort- und Weiterbildung zu übernehmen. Ralf Neite unternahm den Versuch, im Interview mit Helmut Aßmann die geistliche Ernte seiner Hildesheimer Zeit zusammenzutragen. Es war ein langes Gespräch.

Neite: Dass Sie Hildesheim beruflich verlassen, hat einige Verwunderung ausgelöst und auch die Presse sehr interessiert. Die Fragen, die die Journalisten an Sie gerichtet haben, ließen zwischen den Zeilen vor allem eins erkennen: dass Sie beinahe mehr als Person des öffentlichen Lebens wahrgenommen wurden denn als Kirchenmann. Wie fühlt sich das an?

Aßmann: Ich bin dankbar, dass es so geworden ist, weil ich der Überzeugung bin, dass die kirchliche Arbeit, die Theologie insbesondere und die Behandlung der religiösen Fragen, ein zentraler Punkt öffentlichen Lebens ist. Die ganzen wichtigen Fragen, mit denen wir uns als Einzelne und als Gesellschaft beschäftigen, sind am Ende immer auch weltanschauliche, ideologische und zutiefst religiöse Fragen. Um es noch ein bisschen zugespitzt zu sagen: Eine Gesellschaft, in der die religiöse Frage als beiläufig ausgesondert wird, verliert ihre Mitte. Das meine ich nicht vereinnahmend – nach dem Motto: Es müssen alle Christen sein. Aber sofern es keine Verständigung über diese elementaren Fragen unseres Daseins gibt, gibt es am Ende nur Meinungen. Dann setzen sich die durch, die sophistisch ihre Psychotechniken angewandt haben. Und das ist der Untergang eines Gemeinwesens. Darum ist mir das gerade in einer säkularisierten und postchristlichen Gesellschaft ein Anliegen. 

Aßmann

Vielleicht fangen wir noch einmal ganz vorne. Mit welchen Hoffnungen und Plänen sind Sie 2005 überhaupt nach Hildesheim gekommen?

Zum einen wollte ich gerne längere Zeit an einem Ort bleiben und etwas bauen. Vorher bin ich viel herumgezogen. Bauen heißt: Längere Zeit mit Menschen und Gremien der Kirche dienen – und B den Menschen den Segen deutlich machen, den der Glaube an Christus mit sich bringt. Das Zweite – das hatte ich in meiner Zeit als Militärseelsorger nie gehabt – ich wollte gerne als Verkündiger mit meiner eigenen Kanzel und in einem definierten Umfeld, in das diese Verkündigung hineingeht, einen Weg gehen. Auch als Selbstexperiment: Was kommt dabei heraus? Und das Dritte, das ist eine ökumenisch-interreligiöse Überzeugung: Ich glaube zutiefst, dass in Europa, zumindest in Deutschland, dass das Christsein wichtiger ist als die konfessionelle Zugehörigkeit – und das auch im Konzert eines interreligiösen Kontextes. Und letzter Punkt: Ich glaube zutiefst – jetzt rede ich mal ganz fromm, aber so meine ich das auch...

Das ist Ihr gutes Recht.

Ja, aber inzwischen hat man ja fast so eine innere Selbstzensur, dass man nicht fromm daher kommen soll, um nicht als fundamentalistisch zu erscheinen. Also, ich glaube zutiefst, dass die Kirche ein Mysterium hat, das den Menschen zum Leben verhilft. Das darf man nicht einfach nur traditionell darbieten, sonst bekommt es eine gewisse Abständigkeit, Langeweile und Bräsigkeit. Aber: Die Überzeugung, dass Leben nur gedeihen kann, wenn sich ein anderes Leben dafür eintritt, unterstützt, vergibt und tröstet, das ist in einer Gesellschaft wie der unseren nach wie vor von allerhöchstem Belang. Und das als erkennbarer, selbstbewusster und möglichst sprachfähiger Partner in den gesellschaftlichen Prozessen anzusagen, auszudrücken und auf Feiern öffentlich zu vollziehen, das wollte ich gerne. Wenn man so will, wollte ich das Evangelium als einen öffentlichen Beitrag platzieren. Ich wollte nicht, dass die Kirche wieder zu alten Ehren und Würden zurückgekehrt. Das wird nicht passieren.

Sie sagten, dass sie länger bleiben wollten. Sind zehn Jahre eine lange Zeit?

Es war die Mindestzeit, die ich mir gesetzt hatte. Entweder es findet ein Wechsel nach zehn oder elf Jahren statt, oder ich bleibe die ganze Zeit hier bis zum voraussehbaren beruflichen Ende. Das wären dann fast 19 Jahre, und da stellt sich in der Tat die Frage, ob das gut ist. Für das Amt, den Kirchenkreis, die Kirchengemeinden. Ich weiß das im Endeffekt nicht. Es hätte auch sein können, dass es ein guter weiterer Weg gewesen.

Wenn es dumm läuft, haben Sie etwas aufgebaut, das vielleicht wieder rückläufig wird, weil ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger andere Akzente setzt.

Das ist möglich, klar. Auf der anderen Seite – und dafür bin ich wirklich sehr dankbar – gibt es starke und überlegte Gremien hier im Kirchenkreis, die auch selber entscheiden werden, was sie ändern und fortsetzen wollen. Und das Zweite, das ist wirklich eine tiefe Überzeugung: Gott gibt schon die Gaben, die benötigt werden. Wenn es gut war, wird es sich fortsetzen. Wenn es zu sehr an meiner Person hing, wird es sich auch wieder auflösen. Mir bleibt einfach die Dankbarkeit und Freunde, dass vieles, von dem ich geträumt habe, sich ein bisschen wenigstens auch umgesetzt hat.  

helmut assmann 27.1.12

Wenn Sie darauf vertrauen, dass es in der richtigen Weise weitergeht, ist das ein typischer Aßmann-Satz. „Das wird sich fügen“ oder „Das wird sich weisen“: Das hört man oft von Ihnen. Ich nehme, dass ist eine Lebenserfahrung?

Ja, es ist eine Lebenserfahrung, die auch verbunden ist mit einer geistlichen Überzeugung.

Man kann theologisch von allem möglichen überzeugt sein. Aber wenn man über die 50 hinaus ist und sich das bis dahin nicht genügend eingelöst hat, wird man solche Sätze nicht von sich geben.

Da haben Sie Recht. Das ist in der Tat eine Erfahrung, die ich gemacht habe, und auf die ich im Kleinen wie im Großen setze. Mal ganz allgemein gesprochen: In dem Moment, wo ich dem Leben und der Realität unterstelle, dass überall die Gefahr, das Misslingen und die Niedertracht lauern, dann sehe ich davon auch ganz viel. In dem Moment, wo ich dem Leben und der Wirklichkeit unterstelle, dass in ihnen Weisheit und Güte wohnt, wird allein durch diese Bezugnahme das Gute sichtbarer für mich. Deswegen glaube ich in vielerlei Hinsicht, bis in die kritischen Personalfragen hinein oder bei verdaddelten Terminen, dass die guten, göttlich-schöpferischen Kräfte helfen, es doch noch zu retten. Das verbinde ich mit einem Wort aus dem Timotheus-Brief: dass alles gut ist, was mit Dank empfangen wird. Dazu kommentiert Jesus auch in der Bergpredigt: Bitte, so wird Dir gegeben, klopfe an, so wird Dir aufgetan, suchet, so werdet ihr finden. Das ist eine ganz einfache Sache und wird leider so fundamental unterbewertet.

Soviel zur positiven Seite. Sie haben vorhin gesagt, dass vieles so ausgekommen ist, wie Sie sich das erhofft hatten. Was hat denn nicht geklappt?

Ich hatte wirklich gehofft, dass wir es im Blick auf die Arbeit im Kirchenkreis schaffen, die strukturpolitischen Diskussionen so klein wie möglich zu halten. Das hat nicht geklappt. Wir hatten, vor allem in den ersten Jahren, wahnsinnig viel zu tun mit Sparen, Umstrukturierungen, Stellenkürzungen und Gebäudemanagement, und die verdüstern immer das, weswegen wir als Kirche eigentlich unterwegs sind. Das ist mir nicht geglückt. Und ich hatte schon gehofft, dass wir die Zahlen der Besucher in den Gottesdiensten erhöhen, die Austrittszahlen vermindern. Auch das ist im Schnitt nicht passiert. Wobei das hoffentlich nicht einzig an mir lag. Aber die Leitungsarbeit hätte helfen sollen, das zu bewerkstelligen. Da sind wir im normalen Trend. Was auch nicht geklappt hat, war, dass ich eine gute Balance zwischen Pflicht und Kür hinbekommen hätte: dass beispielsweise die theologische Arbeit in ausreichendem Maße zum Zuge gekommen wäre.

Das ist für Sie die Kür?

Ja. Es gibt eine Grundlast an Leitungsaufgaben, die muss erledigt werden. Wenn man das nicht will, darf man sich auf den Job nicht bewerben. Ich hatte aber gehofft, und das ist mir nicht geglückt, dass der theologische Bereich einen großen Raum einnimmt.

Wenn man Ihnen abends um 11 Uhr eine E-Mail geschrieben hat, kam um 12 Uhr noch die Antwort. Dass lässt beinahe den Schluss aufkommen, dass Gremienarbeit und organisatorische Aufgaben sie so in Beschlag genommen haben, dass für den theologischen Bereich nur die Freizeit blieb.

Ja, das ist auch so. Freilich, um keine Larmoyanz aufkommen zu lassen: Das Glück dieses Berufs als Pfarrer ist ja, dass meine Betätigung im beruflichen Zusammenhang und zum Teil auch in der Freizeit, beziehungsweise im Ehrenamt, sich letztlich immer aus den selben Quellen speist. Und dass ich sehr viele Querverbindungen herstellen kann, hin und her. Das kann jemand, der beispielsweise in einer Versicherung arbeitet, nicht so machen. Ich bin Herr meiner Zeit – in sehr großem Umfang.

Ich dachte, das hat Frau Schmidt für Sie erledigt.

(lacht) Ja, aber wenn ich gesagt habe, ich möchte das so nicht, hat sie es auch wieder anders gemacht.

Zum Kirchenkreis: Wie sehen Sie die Zukunft? Was sind die Chancen, wo sind Gefahren für die Entwicklung?

Der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt ist in vielerlei Hinsicht privilegiert. Einmal dadurch, dass er ein Oberzentrum in seiner Mitte hat und die damit verbundenen vielfältigen kulturellen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen Qualitäten, auf die sich Kirche beziehen kann. Und der Kirchenkreis tut gut daran, sich dankbar dieser vielfältigen Gegebenheiten zu bedienen. Die Chancen, die der Kirchenkreis von Haus aus hat, sind auch im Bereich der ökumenischen und interreligiösen Arbeit sehr gut, weil das Soziotop nicht zu groß ist, aber auch groß genug ist, um differenziert zu arbeiten und man ein gutes Geflecht mit den Playern hat, um in einer säkularisierten Gesellschaft zu arbeiten. Ein Zweites: Alle Sorten von Bildungsarbeit haben hier einen ganz reichen Boden. Und das Dritte verbindet sich mit den Welterbestätten als Symbol. Diese Gebäude, besonders Michaelis, aber auch die anderen großen Kirchen, haben eine große spirituelle Kraft. Und mit denen kann man wunderbar arbeiten. Das ist eine Möglichkeit, die mit Michaelis 2010 sehr gut ergriffen worden ist, wo auch noch viele andere Möglichkeiten im Raum stehen. Und dann gibt es viele gute Mitarbeiter, die wir hier haben. Von den Pastoren über den Kirchenkreisjugenddienst bis hin zu den vielen, ebenfalls sehr starken Ehrenamtlichen und ehrenamtlich besetzten Gremien ist hier ein dichtes Netz von guten Leuten. Das ist großartig. 

helmut assmann als luther

Und die Gefahren?

Es gibt zwei grundsätzliche Problemsituationen, die wir haben. Die Eine: Durch diese bedeutsame Qualität von Hildesheim, als Stadt, muss man immer darauf achten, dass Sarstedt und Sarstedt-Land nicht abgehängt sind – sowohl im kirchenkreispolitischen Bereich als auch in der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeitsarbeit, durch pastorale Arbeit und durch gezielte Maßnahmen zur Stärkung und Flankierung der Arbeit in diesen Gemeinden. Sonst ergeben sich Reibereien innerhalb des Kirchenkreistags. Das ist, so weit ich das sehe, in diesen Jahren nicht wirklich virulent gewesen. Aber es ist etwas, worauf man immer achten muss. Die andere Gefährdung ist, was die ländliche Region angeht, die große Not, dort funktionstüchtige kirchliche Strukturen zu bauen. In der Stadt ist es viel einfacher, da kann man leichter zusammenlegen und da kann man auch schnell mal eine andere Funktion dafür übernehmen. In den ländlichen Region – und das haben meine Kollegen Castel und Henking im Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld quasi in Reinkultur, in viel größerer Form – müssen wir zufrieden stellende soziale Arrangements schaffen, in denen sich Kirche überzeugend artikuliert und in denen Glaube nicht nur Traditionsabwicklung ist, sondern etwas, mit dem zu verbinden sich lohnt und was dem menschlichen Herzen auch dient. Das ist schwer, und ich gucke das auch mit angehaltenem Atem an.

Wie beurteilen Sie die Verknüpfung mit dem Nachbar-Kirchenkreis in einem Verband? War die Zusammenführung ein sinnvoller Schritt? Beziehungsweise: Was ist einfacher, was komplizierter geworden?

Der Verband ist ja eine Größe, die dadurch entstanden ist, dass das Landeskirchenamt die beiden Verwaltungen zusammengezogen hat. Wir haben dem dann körperschaftlich die Form eines Verbands geben. Dahinter steckte eine strategische Überlegung. Was wir mit großer Münze haben bezahlen müssen, waren die dahinter stehenden Abstimmungs-, Arrondierungs- und Verständigungsprozesse, wie diese beiden Kirchenkreise in ihrer verwaltungsmäßigen Abbildung zusammenkommen. Das war viel schwerer als gedacht und ist bis zur Stunde auch noch nicht ausgestanden. Man merkt das an solchen Dingen wie dem Gebäudemanagement oder wenn wir über IT-Probleme nachdenken. Und es ist auch kein Wunder. Wir sind eben tendenziell ein eher städtisch geprägter Kirchenkreis, der andere ist ein mit sehr zersiedelten Strukturen ausgestatteter Kirchenkreis. Da tickt das kirchliche und öffentliche Leben anders. Wir haben das oft diskutiert. Das jetzt von einer Verwaltung in gleichen Formaten abzubilden, ist eben auch kein Kinderspiel.

Und in der inhaltlichen Zusammenarbeit – sind Sie da nicht mit höheren Erwartungen gestartet?

Das ist nach meiner Wahrnehmung differenziert. Was wir schnell in Gang gebracht haben und was unterm Strich auch gut funktioniert, ist die Geschichte mit der Diakonie, die ja in der Trägerschaft des Verbandes ist. Ebenfalls ein hervorragendes Ding ist die Kindertagesstätten-Trägerschaft auf Kirchenkreisebene, die ganz parallel organisiert ist und innerhalb des Verbandes zwei ganz analoge Säulen bildet. Da gab und gibt es immer wieder mal Abstimmungsbedarf, aber die Evaluation zeigt: Es funktioniert. Es funktioniert richtig gut. Unsere Überlegung hingegen, die Jugendarbeit zusammenzulegen: Das hat nicht funktioniert. Das hat mit territorialen Gesichtspunkten zu tun – es ist einfach eine Riesenfläche. Außerdem hat es mit Schwerpunkten zu tun und mit handelnden Personen. Dasselbe gilt sicher auch für die Sups, die jeder für sich über mangelnde Arbeit nicht klagen müssen. Ein gemeinsames Tätigkeitsfeld zu definieren und dann in Gang zu setzen, ist echt aufwändig. Und wir hatten alle Hände voll zu tun, das Schiffchen überhaupt erstmal auf den Ozean zu bringen. Wenn jetzt noch ein paar Jahre ins Land gehen, kann ich mir vorstellen, dass auch noch ein paar weitere gemeinsame Arbeitsfelder hinzukommen.

Es ist jedenfalls nicht exzessiv betrieben worden nach dem Motto: Wir gucken mal, wo wir noch überall koopieren können!

Das stimmt. Aber es ist, glaube ich, mit dem jeweils hohen Eigen-Spin der beteiligten Typen zu erklären.

Was werden Sie besonders vermissen, wenn Sie nicht mehr Hildesheimer Superintendent sind?

Ich kann es noch nicht ganz genau sagen, weil ich ja hier wohnen bleibe und manche der Bezüge zwar umformatiert werden, aber in der Substanz erhalten bleiben. Ein paar Dinge kann ich aber gleichwohl schon sagen. Was ich vermissen werde, ist diese Freiheit als Sup, seine Schwerpunkte so zu setzen, wie man möchte. Was mir sicherlich auch fehlen wird, sind große Aufzüge, wo man Kirche, Glauben, Religion feiern kann als ein Ereignis, als eine berührende Kraft – als Mysterium, das Menschen berührt. Das ist in so einem Kirchenamt schwer. Und ich werde die Nähe zur Michaeliskirche vermissen: dass ich mal eben rüber gehen konnte, um zu beten, um Stille zu haben und mich einfach an den Schönheiten diesen Kirchenbaus zu delektieren. Und auch die Möglichkeit, mich einfach mal nachts hineinsetzen zu können und mit dem lieben Gott Zwiesprache zu halten. Das kann man zwar auch im Wald, im Garten oder auf dem Klo, das weiß ich auch, aber nee: Das ist dann doch etwas Besonderes. Und diese wirklich tolle Mitarbeiterschaft im Kirchenkreis. Mit allen habe ich Geschichten, zum Teil lange Geschichten und auch viele schöne Geschichten. Das Netz, das sich über Jahre aufgebaut hat, das werde ich vermissen. Und in der Erinnerung pflegen, wie ein Kleinod. Ich bin echt dankbar, sagen zu können: Ich nehme das als schöne Zeit mit. Bei allem Quatsch, den man da zwischenzeitlich auch hatte. Aber in der Summe fällt das überhaupt nicht ins Gewicht.

Ich möchte noch mal auf die großen Aufzüge zurückkommen. Viele Reaktionen auf ihren Wechsel waren ja: Mensch, der Aßmann stand doch so gerne auf der Bühne und im Rampenlicht. Wieso geht der jetzt ins Landeskirchenamt?

Ich habe ja schon einmal in einem Kirchenamt gearbeitet, das ist mir durchaus vertraut. Ich gehe da jetzt wieder hin, einmal um der Sache willen. Diese theologische Aus-, Fort- und Weiterbildung des Pfarrpersonals liegt mir wirklich am Herzen. Warum ich diese Bühne und diese großen Aufzüge verlasse: Gerade, weil ich das so liebe – um nachzuweisen, dass ich nicht daran hänge. Es klingt vielleicht ein bisschen fromm verstiegen, aber das ist ein Wort von meinem alten Seelsorger. Der hat mir als junger Mann gesagt: „Weise nach, dass Du an den Dingen nicht hängst.“ Gerade bei diesen großen Aufzügen vermischen sich Talent, Eitelkeit, Vollmacht und gute Gelegenheit ganz undurchdringlich. Und jetzt ist etwas in mir, das mir sagt: Häng Dein Herz nicht daran. Äußerlich gab es ja keinen Grund. Warum hätte ich gehen sollen?

Das weiß ich auch nicht. Möchten Sie abschließend noch etwas loswerden, wonach ich nicht gefragt habe?

Eines vielleicht. Ich glaube ja, dass die Kirche, ob nun die evangelische oder die katholische, gut beraten ist, von ihrem Proprium her zu denken, also von ihrem Auftrag her. Und nicht so sehr daher, wie man verlorenes Terrain wieder gewinnt. Die Leute merken das, und es ist nicht in Ordnung. Allein schon, wenn man so anfängt zu reden, spüren die anderen: Da greift ein Arm nach mir, der will mich wieder einsacken. Dieses Verhalten sollten wir abstreifen und in komplizierten Situationen lieber gelegentlich sagen: Tut mir leid, da weiß ich jetzt auch keine Antwort drauf, aber vielen Dank für den Impuls. Der Kirche geht es im Kern nicht um Bestandserhaltung, sondern ein Plädoyer für Vertrauen auf Gott. Um in ein Gespräch zu kommen, das darauf baut: In allem, was ist, redet jemand zu uns, auch in dem, was wir nicht verstehen, was uns zuwider ist oder was daneben geht. Wenn man darauf vertraut, geht es auch weiter. Wenn man nur denkt: Oh, ich habe verloren, das nächste Mal muss ich gewinnen – dann wird man Sophist. Da sehe ich zur Zeit die Grundversuchung unserer Kirche: Absicherung der Bestände. Wichtiger ist vielmehr: die Bedeutung des Glaubens vertiefen und vorleben. Die Austrittszahlen beschäftigen mich deswegen auch inhaltlich nicht so intensiv, weil sie nur markieren, dass hier etwas anderes vonstatten geht, als dass wir eine schlechte Performance liefern. Das ist gar nicht so. Wir machen das hier ziemlich gut, finde ich.