Interview mit Christian Felber
Herr Felber, was hat Sie zur Entwicklung der Gemeinwohl-Ökonomie motiviert? Was ist Ihr Antrieb?
Zum einen die Freiheit im Geist, gesellschaftliche Verhältnisse neu zu denken und die dafür nötigen sozialen Innovationen und demokratischen Reformen vorzuschlagen. Zum anderen ein tiefes Verbundensein mit der Erde und dem großen Ganzen, aus dem heraus ich stetig motiviert werde, Informationen und Sinn erfahre. „Wissenschaftlich“ versuchte ich im Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ zu verstehen, auf welchen Werten unser Wirtschaftssystem aufbaut.
So habe ich die Vertauschung von Ziel (Gemeinwohl) und Mittel (Geld) entdeckt. Derzeit leben wir – nach Aristoteles – gar nicht in einer „Ökonomie“ (Geld ist das Mittel), sondern in der Chrematistik (Gelderwerb ist das Ziel) oder, modern ausgedrückt: im Kapitalismus. Die Zurechtrückung von Ziel und Mittel war die Grundlage für die Gemeinwohl-Ökonomie.
Glauben Sie daran, dass Wirtschaftsmanager auch großer Unternehmen die Gemeinwohl-Ökonomie einführen, um uneigennützig das Richtige zu tun? Oder was könnte deren Anreiz sein, sich Ihrer Idee anzuschließen?
Da gibt es viele Gründe. Zum einen haben alle Menschen eine Ethik und Mitgefühl – viele wissen zumindest intuitiv oder in ehrlichen Momenten, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem die falschen Werte belohnt und eine Umkehr nötig ist. Zum anderen ist die GWÖ endlich ein Modell, das das Leben der „richtigen“ Werte nicht nur erlaubt, sondern auch zum Erfolg führt. Viele Wirtschaftsmanager verhalten sich nicht aus Überzeugung kapitalistisch, sondern weil die Systemdynamik es so vorsieht und belohnt.
Die GWÖ bietet hier eine attraktive Perspektive. Wir sind bereits mit fünf DAX-Unternehmen in Kontakt: Mit drei über ein Forschungsprojekt, mit einem über den Betriebsrat und mit einem weiteren über die CSR-Strategie (Corporate Social Responsibility). Es gibt immer mehr Führungskräfte, die vorausschauend und langfristig denken; sie erkennen, dass der Wandel unweigerlich kommen wird und bauen vor.
Sie schlagen vor, beispielsweise durch Steuererleichterungen soziales und nachhaltiges Wirtschaften zu belohnen. Haben Sie darüber schon mit Politikern in Deutschland gesprochen? Wie waren die Reaktionen?
Zum einen beobachte ich den „Weg der Pflanze“ von unten nach oben. An der Basis, bei den Kommunen, löst die Gemeinwohl-Ökonomie nahezu flächendeckend positive Resonanz aus. In den Gemeinde- und Stadträten der GWÖ-Gemeinden finden sich so gut wie alle Fraktionen. Jetzt kommen die Landkreise dazu, und erste Bundesländer und Regionen ziehen voraus (Baden-Württemberg, Salzburg, Südtirol, Valencia).
Auf Bundesebene ist die Luft hingegen äußerst dünn. Dennoch hat bisher kein einziger PolitikerIn, mit Ausnahme einzelner FDP-Spitzen, den Vorschlag differenzierter Steuersätze, Zinsen oder Zollstufen als schlechte Idee bezeichnet. Und es gibt eine erste Umsetzung: Die US-Stadt Portland hat die Unternehmensgewinnsteuer dreigestaffelt – je nach Grad der Ungleichheit im Betrieb!
Sie sind viel unterwegs, um Ihre Idee zu verbreiten. Sehen Sie ein Umdenken in der jüngeren Generation, eine größere Bereitschaft, sozial und global zu denken?
Zum einen denkt die jüngere Generation das, was ihr die ältere vorlebt und vorgibt. Da „Globalisierung“ mittlerweile eine Querschnittmaterie in allen Schulen ist, wachsen die jüngeren Generationen mit einem globalen Problembewusstsein auf – und sind offen für Lösungen, die sich die ältere Generation in einer selbstauferlegten Sachzwangmentalität nicht einmal zu denken erlaubt. Was es jetzt noch bräuchte, ist, die jüngeren nach ihren Lösungsvorschlägen zu fragen und ihnen ein Mitentscheidungsrecht zu verleihen, es ist schließlich ihre Zukunft, die wir gefährden. Mein Vorschlag der „demokratischen Wirtschafts-, Geld- und Handelskonvente“ ließe sich gut in kommunalen bis globalen Jugendparlamenten umsetzen. Ich bin ganz sicher, die Jungen würden eine bessere Welt designen und entscheiden.
Die Hildesheimer Veranstaltung in der Reihe „Wo Gerechtigkeit strömt“ richtet sich auch und besonders an diakonische und kirchliche Unternehmen. Welche Rolle können diese auf dem Weg zu einer gerechteren Wirtschaftsform spielen?
Diakonische, karitative und kirchliche Unternehmen gehen von einem transparenten Wertesystem aus, das ist ihre Quelle. Ein Teil der Wirtschaftswissenschaft missversteht Märkte, Wirtschaft und sogar Geld immer noch als „neutral“, „nicht-normativ“ oder sogar als Naturwissenschaft. Auf ihrem ethischen Fundament haben Kirchen den gemeinnützigen oder „dritten“ Wirtschaftssektor maßgeblich miterschaffen. Dieser ist durch „Liberalisierungen“ und marktradikale Gesetze unter Druck geraten.
Umgekehrt müsste es sein: Alle Unternehmen werden zur Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz verpflichtet, dann können die ethisch Vorbildlichen über Anreize in Vorteil gestellt werden. Die Dumper, Lohndrücker und Externalisierer hätten das Nachsehen. So kann der gemeinnützige Sektor zum Standardmodell für die Marktwirtschaft werden. In der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung startet in Kürze ein internationaler Arbeitskreis zu diesem Thema, Interessierte sind herzlich eingeladen.