Neue Spielzeit im Literaturhaus startet mit feministischen Tiergedichten

Nachricht Hildesheim, 20. August 2025

Im September beginnt in St. Jakobi die Spielzeit "Wachen" / Maren Pfeiffer übernimmt die kommissarische Leitung

David Schnitter und sein Team haben für das Bühnenbild zur Spielzeit „Wachen“. einen Baywatch-Ausguck gebaut. Fotos: Jan Felix Bergmann

Liebhaber und Liebhaberinnen der Literatur reiben sich die Augen: Das Literaturhaus St. Jakobi hat die Spielzeit „Schlafen“ hinter sich gelassen, um sich putzmunter in die Spielzeit „Wachen“ zu stürzen – der zweite Teil der Trias „Schlafen – Wachen – Träumen“ beginnt am 19. September. Wieder steht ein Bewusstseinszustand des Menschen im Mittelpunkt: „Ein Zustand, in dem wir so viel machen, dass wir ihn gar nicht mehr bewusst wahrnehmen,“ meint die scheidende Intendantin Sarah Sophia Patzak. „Über das Schlafen und Träumen wird viel geschrieben, gesungen und gemalt, aber das Wachen muss man sich erarbeiten.“

Wer noch nicht ganz wach ist, wird es zur Eröffnung: Ella Carina Werner bringt ihre feministischen Tiergedichte mit nach Hildesheim und stellt unter Beweis, dass ein ernstes Thema lustig verpackt sein kann. Die Satirikerin und Mitherausgeberin der Titanic hat sich nach einigen Erzählbänden mit „Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt“ einem neuen Genre zugewandt und gibt diesem durch ihre feministische Sicht, ihre scharfe Beobachtung und kantigen Reime eine erfrischende Aktualität.
„Ich freue mich schon sehr darauf, das Haus im September von einem Hahn und Ella Carina Werners feministischen Tiergedichten wecken zu lassen“, sagt Maren Pfeiffer. Sie ist seit Herbst 2022 für das Projektmanagement verantwortlich und wird die Kulturkirche nach dem Weggang von Sarah Patzak ab September zunächst bis Ende des Jahres leiten. „Ich freue mich, dass Maren Pfeiffer die kommissarische Leitung übernimmt, sodass die Arbeit nahtlos fortgeführt werden kann“, lässt Cordula Trauner, Superintendentin des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt, wissen. Die Intendanz wird zum 1. Januar 2026 neu ausgeschrieben.

Der Eröffnungsabend der Spielzeit wird wie gewohnt ergänzt durch eine Ausstellung von Kunstraum 53 zum Spielzeit-Thema. Gestalter David Schnitter bietet außerdem eine Führung zum Bühnenbild an, das die Zuschauenden in ein Schwimmbad mit Baywatch-Ausguck versetzt.

Das Spielzeitprogramm startet mit Ella Carina Werner und ihren feministischen Tiergedichten. Foto: Julia Schwendner

Die liebevolle, vertrauende Seite des Wachens vertritt Yannic Han Biao Federer. Er erzählt am 15. Oktober mit „Für immer seh ich dich wieder“ vom Verlöschen der erwarteten Zukunft und einem Zusammenbruch der Normalität. Der Verlust des ungeborenen Kindes lässt Eltern fassungslos zurück, während ringsum das Leben einfach weitergeht. Wachen über das eigene Kind, über sein Glück und Wohlergehen, wird ihnen verweigert. Am Tag der Sternenkinder widmet sich der Abend diesem Schmerz.

Das Entstehen einer Podcast-Show rund um Lieblingsbücher, Neuerscheinungen und Bestseller erlebt das Publikum am 23. Oktober. Zu Gast ist NDR Kultur mit dem Bücherpodcast eat.READ.sleep und den Redakteuren Jan Ehlert und Daniel Kaiser. Mit dabei auch Theologin und Autorin Julia Koll, die in Hildesheim Literarisches Schreiben studiert hat, die Evangelische Akademie Loccum leitet und in ihrem ersten Roman „Das Buch Mechthild“ über eine mittelalterliche Mystikerin schreibt.
Um besondere Hörerlebnisse geht es auch am 8. November: Das Syndikat Gefährliche Liebschaften hat im Sommer bei Rosenbogengesprächen in und über Hildesheimer Landschaften Wissen und poetische Betrachtungen über Rübenacker, Kaliberg oder Magdalenengarten gesammelt. Daraus entstehen an diesem Abend bei einem Live-Hörspiel-Fest kurze Hörstücke.

Maren Pfeiffer als Badeaufsicht: Sie übernimmt ab September die kommissarische Leitung für das Literaturhaus St. Jakobi. Foto: Jan Felix Bergmann

Die Hildesheimer Poetikvorlesung in Kooperation mit dem Literaturinstitut der Universität Hildesheim bringt Schreibende den Lesenden näher. Jedes Semester berichten Schriftsteller oder Schriftstellerinnen über ihr Vorgehen, ihre Arbeitsprozesse und den Literaturbetrieb. Dieses Mal ist am 19. November die Autorin, Kulturwissenschaftlerin und Jury-Mitglied des Bachmann-Preises Mithu Sanyal zu Gast. Sie hat sich in ihrem gefeierten Debüt „Identitti“ mit Identitätspolitik befasst, setzt sich jetzt in „Antichristie“ mit Kolonialismus in Vergangenheit und Gegenwart auseinander. Ihre Bücher mit politischer Haltung fragen, wo und wann in der Gesellschaft Wachsamkeit nötig ist.

Die literarische Zukunft präsentiert sich in der Landpartie: Studierende der Fachrichtungen literarisches Schreiben sowie Kulturwissenschaften und künstlerische Praxis haben Texte unterschiedlicher Genres verfasst und zu dieser Anthologie zusammengestellt. Die stellen sie am 27. November mit einer multimedialen Inszenierung vor, die während eines Workshops mit dem Atelier Licht.n.Stein entstanden ist.

Literaturwissenschaftler und Männlichkeitsforscher Toni Tholen setzt die Reihe der Gespräche über Männlichkeit am 5. Dezember fort. Gesprächspartner ist der queere Autor Linus Giese, der in „Ich bin Linus“ über die eigene Transition zum Mann geschrieben hat. Die bisherigen Gespräche der Reihe sind als Podcasts auf der Webseite des Zentrums für Geschlechterforschung der Universität Hildesheim zu hören.

Das Jahr und damit die erste Spielzeithälfte schließen mit dem Rastplatz an Heiligabend. „Es kommen besondere Stimmen zu uns, die auf unterschiedliche Weise wach sind. Für Angehörige, für die Gesellschaft oder für sich selbst. Ich blicke daher mit großer Vorfreude auf die kommenden Monate,“ freut sich Pfeiffer. Karten für die neue Spielzeit Wachen gibt es online über stjakobi.de oder bei Ameis Buchecke.    Wiebke Barth