Der Pastor mit der Gitarre

Nachricht Hildesheim, 30. November 2020

Fritz Baltruweit, ein Star bei den Deutschen Evangelischen Kirchentagen, tritt in den Ruhestand

Fritz Baltruweit wie man ihn kennt: mit Gitarre. Foto: Ralf Neite

Hildesheim Der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag, Hamburg vor sieben Jahren: Eine Gruppe Jugendlicher schlendert durch Planten un Blomen und überlegt, wohin es am Abend gehen soll. Ein großes Popkonzert steht im Programmheft, aber dann fällt ihnen etwas Besseres ein: „Zur selben Zeit tritt Fritz Baltruweit auf. Lasst uns das machen!"

Es ist ein bisschen wie mit dem Propheten, der im eigenen Lande wenig gilt: Fritz Baltruweit gehört in Hildesheim gewissermaßen zum Inventar. Mit seiner Gitarre ist er bei allen möglichen Anlässen zu treffen. Bei Konzerten und Mitsing-Abenden im Kreuzgang von St. Michaelis. Bei Gottesdiensten und Andachten. In der Schule. Doch außerhalb von Hildesheim, und besonders bei den Stammbesuchern der Kirchentage, ist der christliche Liedermacher eine große Nummer. Jetzt tritt der Mitarbeiter des Evangelischen Zentrums für Gottesdienst und Kirchenmusik im Michaeliskloster in den Ruhestand. Aber als Musiker macht er weiter. Natürlich.

An den Auftritt in Hamburg kann Baltruweit sich gut erinnern. „Das war mein 25. Kirchentag, wirklich ein schönes Konzert. Es war sehr kalt, und wir haben vor 10 000 Menschen auf dem Rathausmarkt gespielt. Die sind alle die ganzen zwei Stunden geblieben, es wurden eher noch mehr.“

Die Kirchentage spielen eine besondere Rolle in Fritz Baltruweits Leben. Seit 1977 ist er immer dabei gewesen. Zu den eindrücklichsten Momenten zählt er den Abendsegen beim Kirchentag 2005 in Hannover. Mit Margot Käßmann, der damaligen Landesbischöfin, stand er auf einer Hebebühne am Leineufer – 80 000 Menschen unter sich. „Ich dachte: Wie sollen wir die bloß ruhig bekommen? Dann habe ich einfach einen Ton gesummt – und alle haben mitgesummt.“

Die Kontakte, die er bei den Kirchentagen knüpfte, haben ihn um die ganze Welt geführt. 1983 fuhr er als Musiker zur Weltkirchenkonferenz in Vancouver – dem ersten von vielen internationalen Kongressen, die noch folgen sollten. Als Mitglied der Musik- und Gottesdienstteams reiste Baltruweit nach Jamaika, Australien, Zimbabwe, Kanada und in mehrere europäische Länder.

„Das hat mich sehr geprägt“, sagt Baltruweit und meint damit nicht nur das musikalische Geben und Nehmen, den Lieder-Transfer zwischen unterschiedlichsten Kulturen. Er habe viel über deren Glauben, aber auch ihre Probleme gelernt – und wie wichtig es ist, sich mehr für soziale Gerechtigkeit in der Welt einzusetzen, besser zu teilen.

Wichtige Stationen seien zudem die DDR-Kirchentage gewesen, bei denen er von 1983 an dabei sein konnte. Damals wurde bei einer nicht offiziellen Veranstaltung in Wittenbergs Lutherhof ein Schwert zu einer Pflugschar umgeschmiedet. 2000 Menschen sahen zu und sangen Lieder. „Jeder hat verstanden, was gemeint war“, sagt Baltruweit. „Das waren existenzielle Situationen. Es berührt mich jetzt noch, wenn ich daran denke.“

Das Publikum kennt Baltruweit von Großereignissen, aus Fernseh- und Radiogottesdiensten. Doch eigentlich ist der 65-Jährige ein Pastor, freilich mit zusätzlichem Studium der Musikwissenschaft. Seine erste Pfarrstelle war in Garbsen, danach war er Studienleiter im Kloster Loccum. Um die Jahrtausendwende hat er für drei Jahre das Programm im Christuspavillon der Expo 2000 gestaltet. „Das hat unglaublich viel Spaß gemacht“, berichtet Baltruweit, „da konnte man aus dem Vollen schöpfen und wunderbare Veranstaltungen organisieren.“

Vor allem den großen Pfingstgottesdienst mit dem südafrikanischen Bischof und Menschenrechtler Desmond Tutu: 1500 Bläser, 800 Gospelsänger und Inga Rumpf als Leadsängerin waren dabei. Baltruweit: „Das war ein richtiges Highlight in meinem Leben.“

Im Anschluss wechselte er ins damals neu entstehende Michaeliskloster. Allerdings nicht, wie man vermuten könnte, in die Abteilung für Kirchenmusik. Fritz Baltruweit ist dort für liturgische Fragen zuständig, also die Gestaltung von Gottesdiensten. Er ist glücklich, dass er seine Leidenschaft nicht zum Beruf gemacht hat – und dass er beides, Musik und Theologie, gut miteinander verbinden konnte.

So ist ein beeindruckendes Gesamtwerk entstanden. Seit 1977 schon existiert seine „Studiogruppe Baltruweit“, zu der seit langem die Harfenistin Konstanze Kuß und Pianist Valentin Brand als Kernbesetzung gehören. Rund 1000 neue geistliche Lieder hat Baltruweit komponiert, fast 60 Langspielplatten, Kassetten und CD’s herausgebracht, vier Liederbücher und 20 liturgische Bücher veröffentlicht. Jedes Jahr sind seine Songs in rund 70 neuen Liedersammlungen zu finden, einige haben Aufnahme ins Evangelische Gesangbuch und ins Katholische Gotteslob gefunden.

Seine Lieder wurden in viele Sprachen übersetzt, seit 2017 auch ins Tschechische. Damals sang er beim Reformationssommer in Wittenberg jeden Abend das Lied „Jeder Mensch braucht einen Engel“, das er 2010 mit Nora Steen zum Michaelisjubiläum komponiert hat. Ein tschechischer Chor, der eines Tages zu Besuch war, sang spontan mit und holte sich die Erlaubnis, den Text in die eigene Landessprache zu übertragen. Das Lied wird in Tschechien nun ins offizielle Gesangbuch übernommen.

Sein bekanntestes Lied aber ist „Gott gab uns Atem“ – ein Stück, das im ganzen deutschsprachigen Raum immer wieder gesungen wird. Manchmal besuche er im Urlaub einen Gottesdienst, niemand kenne ihn, und dann singe die Gemeinde „Gott gab uns Atem“: „Das geht kalt den Rücken runter.“

In den letzten sechs Jahren hat Baltruweit eine Vorliebe für alte Volkslieder entdeckt. Luther habe diese Melodien genommen, geistliche Texte dazu geschrieben und die Lieder von den Marktplätzen in die Kirche geholt: „Das ist so, als ob wir das heute mit ,Atemlos durch die Nacht’ von Helene Fischer machen würden.“ Mit seiner Begeisterung steckt Baltruweit an. 250 Konzerte hat er mit seinem Volkslied-Programm schon gegeben, darunter das beliebte Advents- und Sommersingen in St. Michaelis.

Das wird auch weitergehen, wenn er in Rente ist, sagt Baltruweit. Für 2021 stehen schon reichlich Konzerte und Radioauftritte an. Wird man davon reich? „Davon leben könnte ich nicht“, entgegnet Baltruweit. Was aber daran liegt, dass er für seine Konzerte nie Geld nimmt. Durch seinen Beruf als Pastor sei er ja versorgt. „Das ist eine schöne Situation, wenn man die Leute beschenken kann.“   Ralf Neite