Kreis Hildesheim. Gemüse wie aus eigenem Anbau: Garantiert regional, garantiert ökologisch – das möchten viele Verbraucher auf dem Teller haben. Viele Anbauer möchten es auch so machen, stehen jedoch unter dem Druck, eine üppige Ernte einfahren zu müssen und Pflanzen zu produzieren, die auf dem Marktstand äußerlich makellos wirken. Die Solidarische Landwirtschaft (SOLAWI) bringt beide Seiten zusammen: Die Verbraucher werden zu Mitgliedern. Sie zahlen jeden Monat eine feste Summe an den Gartenbauer und erhalten dafür, was er erntet.
Der Landwirt erhält durch finanzielle Sicherheit die Freiheit, Boden und Pflanzen Zeit zu geben, den Anbau alter Sorten auszuprobieren, ohne Gift auch mal eine Missernte zu riskieren. Bei den Produkten kommt es auf Geschmack und Inhaltsstoffe an, nicht auf ein geglättetes Aussehen. Angebot und Nachfrage sind in Balance; Risiken werden solidarisch getragen. Da Mitglieder die Möglichkeit haben, auf dem Feld mitzuarbeiten, können sie auch etwas über die Entstehung ihrer Lebensmittel lernen.
Die Solidarische Landwirtschaft nimmt in der Region Hildesheim gerade Fahrt auf. Für Rückenwind sorgt dabei eine Auszeichnung: Das Netzwerk öko, fair & mehr verleiht der SOLAWI die Zukunfts-Hilde des Monats Mai. Im Einzelnen gehen die Urkunden an Martin Ingelmann und die NaturGärtnerei und SOLAWI Hannover, an Mona Sandmann und die SOLAWI Immergrün, an Anna Knetsch und HazelsFarm, an André Brun und die SOLAWI Sonnengarten sowie an Daniel und Nicole Pohnert. Ihre HildesFarm steht in den Startlöchern, aber die beiden Newcomer haben noch kein Land für die Verwirklichung ihres Traums gefunden.
Das Netzwerk öko, fair & mehr verleiht ein Jahr lang jeden Monat die Zukunfts-Hilde an ein Projekt in der Region Hildesheim, das Nachhaltigkeit, Klimaschutz und globale Gerechtigkeit fördert. Der Preis soll das Engagement der Akteure würdigen und den Ideen Sichtbarkeit verschaffen. Für das Auswahlgremium im Netzwerk standen die SOLAWIS ganz oben auf der Liste der Kandidaten, sagt Michaela Grön. „Jenseits von Massenprodukten, hoher Spezialisierung und anonymer Versorgung sind SOLAWIs Orte der Achtsamkeit füreinander, für Erde, Pflanzen und Tiere. Dadurch erhalten Lebensmittel ihren Wert zurück.“
Geburtsstunde des Netzwerks war ein Vortrag Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäckers in der Martin-Luther-Kirche im Dezember 2018, begleitet von einer Ausstellung von Initiativen für Nachhaltigkeit und fairen Handel, organisiert von Michaela Grön. Sie hatte gerade das Projekt Lernen eine Welt zu sein im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt gestartet und nahm den Schwung der Akteure für die Gründung des Netzwerks auf. Der Kirchenkreis ermöglicht Michaela Grön die Ressourcen, das Netzwerk voranzubringen und zu koordinieren. „Aus anfangs 25 sind inzwischen 47 Netzwerk-Partner geworden“, sagt Superintendent Mirko Peisert. „Da ist richtig Power drin.“
Die SOLAWI-Betriebe haben sehr unterschiedliche Entstehungsgeschichten; gemeinsam ist ihnen die Überzeugung der Akteure, auf dem richtigen Weg zu sein. Nachdem Martin Ingelmann 1992 die Gärtnerei seiner Eltern in Algermissen übernommen hatte, stellte er auf biologischen Anbau um; seit 2018 arbeitet er als SOLAWI und NaturGärtnerei. Rund 220 Haushalte versorgt sein Betrieb mit Gartenerzeugnissen, er nimmt noch neue Mitglieder an. Sein Boden sei bereits gut auf die ökologische Bewirtschaftung eingestellt, da seien drei Ernten im Jahr möglich. „Boden kann im Sommer und Winter Ertrag bringen, wenn er gut behandelt wird“, sagt Ingelmann.
Erst Anfang des Jahres hat Mona Sandmann ihre SOLAWI Immergrün gegründet und hat jetzt 22 Mitglieder. Ihre erste Ernte: Radieschen. Dass die Abnehmer nicht sofort Kisten voller Gemüse erhalten würden, sei allen klar gewesen, sagt Mona Sandmann. Mit André Brun, einem weiteren Neueinsteiger, tauscht sie sich häufig aus. Brun hat Gartenbauwissenschaft studiert und ist vom Konzept der Permakultur begeistert, bei dem die Flächen das ganze Jahr genutzt werden. Sein Land sei lange konventionell bebaut worden, er müsse den Boden erst bereiten, erklärt Brun. Neben dem Gartenbau gehört auch eine Obstplantage zu seinem Betrieb. Bei ihm wachsen unter anderem Sanddorn, Physalis, Felsenbirnen oder Esskastanien: „Alles, was möglich ist, und was lecker ist.“ Er fühlt sich bestärkt durch die Abnehmer: „Weil ich merke, dass es den Leuten was bedeutet.“
Daniel Pohnert ist eigentlich Opernsänger, seine Frau Nicole Tänzerin – keine krisenfesten Berufe, wie beide in der Corona-Zeit feststellen mussten. Da sie seit 14 Jahren einen Schrebergarten bewirtschaften und die SOLAWI-Idee sie überzeugt, wollen sie nun auch eine gründen. Abnehmer haben sie schon, aber kein Land. Wer nahe Hildesheim etwas zu verpachten hat, kann sich unter nikibau@freenet.de melden.
Für das Unternehmen Kosmogrün ist die SOLAWI einer von drei Geschäftszweigen. Nach ihrem Masterstudium Global Studies mit Schwerpunkt Humanökologie und Nachhaltige Entwicklung in Schweden hat Anna Knetsch zusammen mit ihrem Bruder Nikolas 2020 Kosmogrün in Hildesheim gegründet. Neben HazelsFarm mitten in Asel – wo unter anderem Wein angebaut wird - gehören dazu Büroräume, in denen Coworking stattfindet, sowie Beratung und Workshops für Unternehmen und Kommunen, die sich nachhaltiger aufstellen wollen.
„Über die Unternehmen kann man die Region verändern“, meint Anna Knetsch. Umweltbewusstsein sei nicht nur eine Imagefrage, es schaffe Attraktivität für gut ausgebildete Fachkräfte. Was ihr gefällt: Oft seien es die Kinder der Unternehmensleitungen, die ihre Eltern zu mehr Nachhaltigkeit drängen: „Das finde ich richtig cool.“ Wiebke Barth