Hildesheim. Es gibt zahlreiche Berichte über Flucht und Vertreibung – viele ähneln sich, und doch steckt hinter jeder ein individuelles Schicksal. Im Rahmen der Woche der Diakonie erzählte die szenische Lesung „Seestern in Südtirol“ eine dieser Geschichten am Dienstagabend in der Martin-Luther-Kirche. Vor allem angesichts der Situation in Afghanistan ist dies ein relevantes Thema – dennoch sind die Reihen der Kirche nur spärlich besetzt.
„Als ich die Erzählung des 14-jährigen Alidad Shiri zum ersten Mal hörte, dachte ich, sie wäre übertrieben“, gibt Autor Antonio Umberto Riccò zu. Allerdings stellt er klar: „Die gesamte Lesung basiert auf wahren Erlebnissen.“
2005 flieht der damals 14-jährige Alidad aus Afghanistan. Angebunden auf der Achse eines Lkw wird er auf der Brennerautobahn aufgegriffen – und landet in einem SOS-Kinderdorf in Südtirol, wo sein Integrationsprozess beginnt. Bald schon gibt es jedoch Zweifel an seiner Identität. Als sich abzeichnet, dass Alidad möglicherweise ein falsches Alter angegeben hat, muss er das Kinderdorf verlassen. Es folgt ein langwieriger bürokratischer Prozess, in dessen Verlauf über die Echtheit seiner Aussagen verhandelt wird.
Erzählt wird die Geschichte von den Sprecherinnen und Sprechern des Spielkreis-Theaters der Matthias-Kirche Hannover. Dabei wird das Verhalten von Alidad immer wieder in Frage gestellt und auf Glaubwürdigkeit überprüft. Während Liane Sickel und Thomas Schenk Partei für den 14-jährigen ergreifen, nimmt Sigrid Jahnel eine negative Haltung ein: „Kann er überhaupt richtig zu uns gehören mit dem Namen Alidad?“ – „Wir müssen doch unsere Demokratie schützen!“
Die kontroversen Meinungen sollen die Vorurteile der Gesellschaft widerspiegeln – doch auch ohne die Diskussionen auf der Bühne ist man als Zuschauer oder Zuschauerin schnell auf Alidads Seite. Das liegt vor allem an den Fotografien und Videoaufnahmen, die über eine Leinwand eingeblendet werden und den Protagonisten selbst zu Wort kommen lassen. Wenn der heute 30-jährige Alidad davon berichtet, wie seine Familienmitglieder durch einen Bombenanschlag der Taliban ums Leben kamen, wirkt das so emotional wie authentisch.
Für Alidad Shiri ging die Geschichte gut aus: 2009 erhielt er Asyl. „Alidad ist ein Geschenk für die Südtiroler Gesellschaft“, stellt Antonio Umberto Riccò fest. Allerdings nimmt nicht jede dieser Geschichten ein gutes Ende. So erinnert er an die vielen Afghanen, die Tag für Tag bei einem Fluchtversuch ums Leben kommen. Für den Autor ist klar: Auch, wenn man nicht allen helfen kann, zählt am Ende jede Form der Unterstützung.
„Seestern in Südtirol“ wird im Rahmen der Woche der Diakonie noch zweimal aufgeführt: Heuteum 19.30 Uhr in der St. Nicolai-Kirche Sarstedt und am Freitag, 10. September, um 20 Uhr im Gemeindehaus Bockenem. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Kristel Döhring