Vier Kommunen, zwei Landkreise, eine Gemeinde

Nachricht Algermissen, 26. März 2021

Superintendent Mirko Peisert findet in der Zwölf-Apostel-Gemeinde Sarstedt-Land heraus, ob die gewagte Großfusion erfolgreich war

Algermissen. Gemeindefusion: Das war vor rund zehn Jahren ein Zauberwort in der evangelischen Kirche. Schlankere Strukturen, bessere Nutzung der personellen Ressourcen, Spareffekte – all das und noch ein bisschen mehr erhoffte man sich. Im Norden des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt gingen sechs Kirchengemeinden mit 13 Dörfern dabei noch beherzter vor als in anderen Gegenden der Landeskirche. Sie gründeten 2012 die Zwölf-Apostel-Gemeinde Sarstedt-Land. Was ist aus diesem Experiment geworden? Ist es erfolgreich? Das wollte Superintendent Mirko Peisert herausfinden, als er jetzt der Gemeinde im Rahmen einer Visitation einen offiziellen Besuch abstattete.

Die sah natürlich anders aus als in normalen Zeiten. Statt Algermissen, Bledeln, Gödringen, Groß und Klein Lobke, Hotteln, Ingeln-Oesselse, Lühnde, Müllingen, Ummeln, Wätzum, Wassel und Wirringen zu besuchen, dort alle möglichen Gremien und Gruppen zu treffen, blieb es bei Videokonferenzen und Einzelgesprächen. „Ich glaube aber, die Themen, die hier relevant sind, sind alle sichtbar geworden“, zeigte sich Peisert am Ende der Visitationswoche zufrieden. Der geplante Austausch mit den BürgermeisterInnen, den Vorsitzenden der Fördervereine und Stiftungen sollim Sommer nachgeholt werden, ebensoeine große Runde zum Thema Nachhaltigkeit – dann live und persönlich.

Ein Bild aus der Zeit vor Corona: Raphael Below, Annegret Austen und Pastor Dr. Yorick Schulz-Wackerbarth, die drei PastorInnen der Zwölf-Apostel-Gemeinde. Foto: Uwe Schelske

„In Gödringen wusste man früher nicht, dass Wassel existiert“, pointiert Pastor Dr. Yorick Schulz-Wackerbarth, der die Gemeinde gemeinsam mit Annegret Austen und Raphael Below betreut, die Situation vor dem Zusammenschluss. Die Fläche der Gemeinde ist so groß, dass sich einige Menschen eher Sarstedt zugehörig fühlen, andere zu Sehnde tendieren, manche einfach in Algermissen glücklich sind – die Orte gehören zu vier verschiedenen Kommunen und zwei Landkreisen.

Es hat etwas gedauert, bis Menschen und Orte miteinander warm wurden. Inzwischen jedoch würden die Vorteile der Fusion immer sichtbarer, sagen die drei PastorInnen übereinstimmend. Das beginne bei ihrer eigenen Arbeit. Die drei haben die Gemeinde nicht in Bezirke aufgeteilt, sondern sind gemeinsam für alle Orte zuständig. Das macht es einfacher, zu reagieren, wenn jemand von ihnen krank oder im Urlaub ist. Schulz-Wackerbarth: „Das Pfarrbüro ist quasi immer besetzt.“ Eine Regionalassistentin und eine Musikpädagogin, die zurzeit eine Ausbildung zur Diakonin macht,ergänzen das Team der Hauptamtlichen.

Ein anderes Plus ist die Größe. Fast 6000 Mitglieder hat die Gemeinde. In den einzelnen Orten würden Gruppen wie etwa der Männerkreis nicht genügend Interessenten finden, im Zusammenschluss aber sehr wohl. Ein anderes Beispiel sind die KonfirmandInnen: Mit 60 Jugendlichen lassen sich – wenn Corona nicht dazwischen funkt – richtig tolle Freizeiten auf die Beine stellen.

Überhaupt sind mehr Anlässe möglich, bei denen eine große Gemeinschaft erlebt werden kann. Das Gemeindefest vor vier Jahren mit Bischof Ralf Meister in Groß Lobke war so ein Beispiel, das große Tauffest 2019 ein anderes; an die 500 Menschen versammelten sich rund um die Lühnder Kirche. So kommen Menschen zusammen, die einander sonst wohl nie begegnet wären, betont das PastorInnentrio – Freundschaften entstehen über die Grenzen der Dörfer hinaus. „Wir tun damit auch etwas für Region“, sagt Annegret Austen nicht ohne Stolz.

Das macht sich in der Gemeinde bemerkbar. Die Zahl der Ehrenamtlichen wächst, die Gottesdienste sind in der Regel gut besucht. Im Moment finden sie allerdings wegen Corona nur als Videoandachten auf dem Gemeinde-eigenen Youtubekanal statt. Das Angebot werde gut angenommen, tatsächlich seien die Zahlen der Teilnehmenden weit höher als in normalen Gottesdiensten, berichtet Raphael Below.

Apropos „normale“ Gottesdienste: In der Gemeinde gibt es an jedem Sonntag zwei. Der eine ist konventionell gestrickt mit traditioneller Liturgie, der andere wendet sich an Menschen, die an neueren Gottesdienst-Formen Spaß haben. Alle zwei Monate gibt es zusätzlich einen Abendgottesdienst mit Live-Band und interaktiven Elementen.

Ein weiteres ungewöhnliches Angebot ist die Taufbox. Jeder Täufling erhält eine Box, die dann im jährlichen Turnus mit weiteren Geschenken gefüllt wird. Ein ehrenamtliches Team organisiert die Besuche für vier Jahre, im fünften gibt es einen Tauferinnerungsgottesdienst, danach können die Kinder den Kindergottesdienst besuchen. So behalten sie einen guten Kontakt, statt die Kirche erst zur Konfirmation wiederzusehen. 

„Es gibt aber auch ein zentrales Problem“, sagt Superintendent Peisert, „und das ist der viel zu hohe Gebäudebestand.“ Viele Pfarrhäuser und Gemeindehäuser verursachen hohe Unterhaltungskosten, ebenso die zwölf Kirchen. In Bledeln wurde ein Gemeindehaus in eine Kita umgewandelt, in Hotteln ist eine ähnliche Lösung geplant. Doch es bleiben noch viele Gebäude, für die gute Ideen nötig sind – oder die verkauft werden müssen.

Diese Schwierigkeiten gäbe es natürlich auch ohne Fusion. Mirko Peisert nimmt einen positiven Gesamteindruck von der Visitation mit: „Obwohl die Gemeinde so divers ist und disparat, ist in den letzten Jahren etwas Gemeinsames entstanden.“ Zudem sei Sarstedt-Land „eine der fortschrittlichen Gemeinden im Kirchenkreis“. Ralf Neite