„Die Kinder sind die Verlierer“

Nachricht Hildesheim, 25. März 2021

Evangelischer Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt moniert fehlende Verbesserungen in der geplanten Novelle des Kita-Gesetzes

Hildesheim. Fast 30 Jahre hat das niedersächsische Kindertagesstätten-Gesetz auf dem Buckel. Vieles hat sich geändert seit 1993: Damals kamen die Kinder bis zum Mittag in die Kita, heute verbringen sie acht bis zehn Stunden dort. Sie essen in ihren Gruppen, die ErzieherInnen übernehmen zunehmend Erziehungs- und Bildungsaufgaben. Im Sommer will die Landesregierung eine Novelle des Gesetzes verabschieden – ohne jedoch auf die geänderten Bedingungen zu reagieren. Der Entwurf müsse dringend nachgebessert werden, verlangen daher Fachleute und Verbände. Der evangelische Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt, Träger von 22 Kitas in der Region, hat ein Positionspapier entwickelt und mit den heimischen Landtagsabgeordneten über die Probleme gesprochen.

Ende 2019 habe der Bund das „Gute-Kita-Gesetz“ verabschiedet, sagt Carmen Niebecker, die Pädagogische Leitung der Kitas im Kirchenkreis. Angelegt war es als „Instrumentenkasten für eine bessere Kinderbetreuung überall in Deutschland“ (so die Homepage des Bundesfamilienministeriums), insgesamt 5,5 Milliarden Euro wurden bereitgestellt. Davon gingen 526 Millionen Euro nach Niedersachsen – das Land nutzte ein großen Teil des Geldes dafür, eine Beitragsfreiheit zu verwirklichen und neue Kita-Plätze zu schaffen. Die bestehenden Probleme, argumentiert Carmen Niebecker, blieben dabei allerdings unberücksichtigt: Für die Qualität der Kita-Arbeit gab es in Niedersachsen kaum Unterstützung. 

„Ein großes Thema ist der Fachkräftemangel“, sagt Niebecker, „viele hören nach fünf Jahren wieder auf.“ Der Grund dafür seien nicht zuletzt die schlechten Arbeitsbedingungen. „Es wird immer schwieriger für uns, Stellen zu besetzen“, sagt Hildesheims Superintendent Mirko Peisert. Er sei besorgt: „Wenn sich der Fachkräftemangel weiter verschärft, wird das zu Gruppenschließungen führen.“

Das beginnt bei der Gruppengröße von 25 Kindern. Schon als das alte Gesetz verabschiedet wurde, monierten Fachleute, das sei zu viel. Deshalb enthält das Positionspapier die Forderung, „die Gruppengröße auf 18 Kinder im Kindergarten und Hort sowie auf 12 Kinder in der Krippe zu reduzieren“. Bleibe man bei den jetzigen Vorgaben, sei eine dritte Kraft pro Gruppe nötig, um die Belastung der ErzieherInnen zu reduzieren und mehr Zeit für die Kinder zu haben. Derzeit sind es zwei Kräfte – von denen eine meist mit dem Wickeln beschäftigt ist. „Es ist viel Frust da“, so Niebecker.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Räume nicht größer geworden sind, obwohl die Kinder mittlerweile den weitaus größten Teil des Tages in der Kita verbringen. Auf der gleichen Fläche, die früher zum Spielen da war, müssen jetzt Mittagessen, Mittagsschlaf, Sprachförderung, Sozialarbeit und vieles anderes stattfinden. Und zwar in der Regel zeitlich parallel. Wieviel Platz aber finanziert werden kann, ist wiederum von den Vorgaben und Zuschüssen des Landes abhängig. „Wir fordern mindestens drei Quadratmeter pro Kind und einen Differenzierungsraum pro Gruppe“, heißt die Schlussfolgerung im Positionspapier des Kirchenkreises. 

All diese Missstände (und noch einige mehr) lässt die geplante Gesetzesnovelle außer Acht. „Unsere Landtagsabgeordneten nehmen das Thema sehr ernst“, sagt Peisert nach dem Gespräch mit Markus Brinkmann, Volker Senftleben und Bernd Lynack (Laura Hopmann fehlte wegen Terminüberschneidungen). Allerdings hätten die Politiker auch klar gemacht, dass für Verbesserungen das Geld fehle.

„Die Kinder sind die Verlierer der ganzen Geschichte. Die kommen zu kurz“, sagt Carmen Niebecker. Überdies brächten Kinder vermehrt ADHS und verschiedene Entwicklungsstörungen in die Kita mit. Sie bräuchten mehr Unterstützung – schon jetzt erreichten viele am Ende ihrer Kindergartenzeit nicht die Schulreife, so die Pädagogische Leiterin. Was in der Kita versäumt werde, entfalte später seine ganze Tragweite: „Man wird immer mehr reparieren müssen.“ Ralf Neite

Info:

Die Evangelische-luth. Kirche gehört zu den größten Kita-Trägern in Niedersachsen. Über das Diakonische Werk werden landesweit rund 1000 evangelische Kindertagesstätten koordiniert.