Hildesheim „Musik muss jeden mitnehmen“, sagt der 39-jährige Mario Ehrenberg-Kempf. „Musik muss den Leuten dienen“, sagt der 28-jährige Thilo Tüllmann. Mario Ehrenberg-Kempf spielt als arrivierter Pop- und Jazzmusiker E- und Kontrabass, aber auch Klavier, Gitarre und Schlagzeug. Thilo Tüllmann ist Organist und Cembalist und hat bereits Erfahrung mit Gottesdiensten und Konzerten.
Seit 1. März teilen sich die beiden unterschiedlichen Musiker die B-Stelle eines Kreiskirchenkantors, angesiedelt in St. Lamberti Hildesheim. Damit beginnt ein neues Kapitel in der kirchenmusikalisch reichen Tradition dieser Gemeinde. Denn im Zusammenspiel christlicher Popularmusik und klassischer Kirchenmusik soll ein neues musikalisches Profil entstehen.
Auf unterschiedlichem Weg sind die beiden neuen Kollegen zur Musik und zu kirchlichem Leben gekommen. Thilo Tüllmann wächst in Hameln in einer Familie mit christlich-kultureller Prägung auf. Kirchgang am Sonntag ist normal. Und schon der kleine Thilo hört klassische Musik. „Mein Vater liebt zum Beispiel Schwanensee von Tschaikowsky. Und ich soll als kleines Kind bei Autofahrten immer wieder nach diesem Stück verlangt haben“, erzählt er lachend.
Die Eltern schicken ihn zur musikalischen Früherziehung und dann mit sechs Jahren zum Klavierunterricht. Als er zwölf Jahre alt ist, löst ein Orgelkonzert seine bis heute andauernde Liebe zur Orgel aus. Aus dem Klavierschüler wird nun auch noch ein Orgelschüler. „Mich fasziniert diese riesige Maschine, mit der man durch so viele Klangfarben herrliche Musik machen kann“, schwärmt er. Bald schon kommen die ersten Anfragen, beim Gottesdienst zu spielen.
So lernt er früh kennen, wie unterschiedlich es in den Gemeinden zugeht. „Ich habe sehr viel Interessantes erlebt, sodass es mir immer mehr Spaß machte, in der Gemeinde Musik zu machen“, erzählt Tüllmann, „so wie zukünftig auch in Lamberti. In der Hamelner Kantorei lernte ich übrigens unter der Leitung von Hans Christoph Becker-Foss auch noch die großen Oratorien kennen, bevor ich dann mein Studium in Lübeck begonnen habe.“ Dort studiert Tüllmann ab 2015 beim bekannten Orgelprofessor Arvid Gast und ergänzt sein Kirchenmusikstudium mit Studien zum Cembalospielen. „Ein wenig habe ich auch Jazz-Klavier studiert. Aber das war eher zum Kennenlernen, was im Jazz los ist“ berichtet er.
Mario Ehrenberg-Kempf versteht von dieser Musik alles. Denn Jazz, Latin und Groove sind seine Passion. Und zwar von Kindheit an. Von Kirche weiß er allerdings lange Zeit nichts. „Als Kind der ehemaligen DDR bin ich vollkommen atheistisch aufgewachsen. Christlicher Glaube und Kirche haben bei uns keine Rolle gespielt“, sagt der im Südharz geborene Musiker.
An der Hannoverschen Musikhochschule studiert er 2004 Bass mit dem Schwerpunkt Jazz und kommt freiberuflich schnell ins Geschäft. „Ich war Bassist für das Schauspielhaus Hannover, TfN, GOP, die NDR Radiophilharmonie und viele andere Künstler sowie Bands mehr.“ Aber auch als Komponist, Arrangeur, Produzent und Bandleader macht er sich in der hannoverschen Szene schnell einen Namen mit seinem Fire Orange Project. Außerdem unterrichtet Ehrenberg-Kempf an der Berufsfachschule des Music College Hannover.
Als ihn einer seiner ersten Schüler um Hilfe in der Band seiner Gemeinde bittet, landet der atheistische Musiker im Gottesdienst einer Freikirche. Da erlebt er Lobpreis-Lieder, soften Sacro-Pop, freie Gebete und eine evangelikale Predigt. „Dieser erste Kontakt mit dieser Art Kirche war für mich etwas befremdlich“, räumt er ein. Dass er sich später aber taufen lässt, aus Überzeugung kirchlich heiratet und auch seine zwei Kinder taufen lässt, hat mit Musik zu tun, aber in einem anderen Umfeld: „Mein Studienfreund Til von Dombois, mit dem ich schon während des Studiums ein gemeinsames Pop-Projekt realisiert habe, war Popkantor der Hannoverschen Landeskirche geworden. Dort hat er mich dann immer wieder zu Workshops und Projekten als Dozent eingeladen. Was Kirche da machte, fand ich ziemlich cool. So bin ich allmählich warm geworden mit dem Glauben und der Kirche.“ 2017 lässt er sich dann von Pastor Jens Blume in Burgwedel taufen.
Die beiden neuen Kreiskantoren kannten einander vorher nicht, haben aber jetzt gemeinsame Vorhaben im Blick. „Genau wie die barocken Kantoren zur Bachzeit für jeden Sonntag eigene Musik geschrieben haben, möchte ich Ähnliches versuchen mit einer eigenen Tonsprache“, erklärt Tüllmann. „Das muss immer gut sein und so, dass es die Menschen verstehen.“ Das sieht Ehrenberg-Kempf genauso: „Popmusik ist fast immer eingängig und will jeden mitnehmen. Trotzdem muss das musikalische Qualität haben und darf nicht in seichtes, belangloses Geplänkel abrutschen.“ Zunächst wechseln sich die beiden Sonntag für Sonntag ab. Da hat dann jeder Gottesdienst seine eigene musikalische Farbe.
Am 19. März gestaltet Mario Ehrenberg-Kempf zum ersten Mal in Lamberti die Musik, am 26. März spielt Thilo Tüllmann zum ersten Mal die Palandt-Orgel im Gottesdienst. „Wir haben aber auch vor, alle viertel Jahr einen Gottesdienst gemeinsam zu gestalten und so in Lamberti ein spannendes Crossover zu schaffen“, freut sich Mario Ehrenberg-Kempf, der sich neben der Gemeindemusik auch um die Popularmusik im Kirchenkreis kümmern soll. Und seine außerkirchliche profilierte Bandarbeit geht natürlich auch weiter. Thilo Tüllmann dagegen nutzt die Zeit neben der Lambertiarbeit für das Studium der Rechtswissenschaft in Hannover. Claus-Ulrich Heinke