Positive Bilanz, aber auch Fragen und Sorgen: Nach sieben Jahren verlässt Mirko Peisert Hildesheim

Nachricht Hildesheim, 26. Juni 2023

Für den Superintendenten ist Hildesheim kirchlich die spannendste Stadt in Niedersachsen, doch auf kommunaler Ebene vermisst er Ideen und Visionen

Hildesheim. Alle sieben Jahre erneuern sich die Zellen im Körper. Insofern ist es ein organischer Wechsel, wenn Mirko Peisert jetzt, sieben Jahre nach seinem Start als Superintendent in Hildesheim, das Amt niederlegt und nach Hannover wechselt. Dort übernimmt er im Haus kirchlicher Dienste die Leitung. Seine Bilanz: Der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt ist gut für die Zukunft gerüstet. Zugleich beobachtet er jedoch einen „spürbaren Ansehensverlust von Kirche“ - und sieht eine schwierige Phase in der Hildesheimer Stadtentwicklung.

Er habe sich eher als „Innenminister“ verstanden, sagt Mirko Peisert. Ein zentraler Punkt in seiner Bewerbung sei es gewesen, den haupt- und ehrenamtlich Aktiven im Kirchenkreis eine gute Begleitung zu sein. Dieser Rolle gerecht zu werden, habe dann auch wirklich einen erheblichen Teil seiner Zeit beansprucht. Und es habe sich gelohnt: „Ich denke, dass das kollegiale Miteinander hier sehr gut ist.“

Die Aussage ist mit einem Aber verbunden: „Ich hätte nicht damit gerechnet, wie groß die Beharrungskräfte an manchen Stellen sind.“ Er habe mehr Bereitschaft für Neues erwartet, doch die Realität sah anders aus. „Veränderung stoßen immer wieder auf starken Widerstand“, so der 50-Jährige.

Ebenfalls zur „Innenpolitik“ gehörte die Umstrukturierung des Kirchenkreises, der aktuell 24 Gemeinden mit rund 52.000 Mitgliedern umfasst. In der Personal-, Gebäude- und Finanzorganisation sei man jetzt weiter als vor einigen Jahren, sagt Peisert, es gebe Planungssicherheit mit 2028. Freilich habe man auch bittere Entscheidung treffen müssen, um dies zu erreichen. 

„In den letzten sieben Jahren hat sich viel bewegt“, sagt Peisert. In Zahlen: Er hat über 20 Pastor:innen verabschiedet und ebenso viele neue begrüßt, dazu über 20 neue Kita-Leitungen. Zwei neue evangelische Kitas wurden eröffnet, drei erweitert, eine weitere ist im Bau. Zudem habe die Kirchenkreis-Leitung versucht, gezielte Impulse nach außen zu geben wie mit der Pop-up-Kirche, dem Corona-Projekt „Wir müssen reden“ oder dem Coffee-Bike. Und der Kirchenkreis habe sich gelb gefärbt. Zu Beginn sei das neue Corporate Design nicht überall auf Begeisterung gestoßen, doch inzwischen sei es zu einem guten Bindeglied geworden.

Positiv beurteilt er auch das ökumenische Miteinander in Hildesheim: „Da ist ganz viel gelungen, mit Wolfgang Voges hatte ich einen tollen Partner.“ Allerdings hänge die Ökumene „zu sehr an einzelnen Personen“. In Zukunft müsse der Austausch mehr organisatorisch und institutionell verankert werden – wie es ja im Religions-Unterricht, beim ökumenischen Hospiz-Projekt oder in der Singschule schon der Fall sei. Peisert: „Unsere Glaubwürdigkeit hängt auch davon ab, wie die beiden großen Konfessionen miteinander umgehen.“

Eng verbunden mit der Glaubwürdigkeit ist das Ansehen der Öffentlichkeit. Die Kirche sei in viele Netzwerke eingebunden, etwa bei Ökofair oder dem Netzwerk gegen Rechts. Doch anders als früher gehöre die Kirche nicht mehr automatisch dazu, sondern müsse sich aktiv einbringen. „Wir werden nicht mehr gefragt. Oder jedenfalls nicht immer“, sagt Peisert. Ein anderes Beispiel: „Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder evangelischer Eltern zum Konfirmationsunterricht gehen. Das sehe ich durchaus mit Sorge.“

Eine andere Sorge, die ihn umtreibt, ist die Zukunft der Kirchenvorstände. Die Ehrenamtlichen in den Gemeinden müssten zu viele bürokratische und administrative Dinge erledigen. Sie davon zu entlasten, werde wohl eine wichtige Aufgabe für seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger sein, so Peisert.

Über seine Zeit als Superintendent sagt er: „Ich bin gerne in Hildesheim gewesen. Kirchlich ist es sicherlich die spannendste Stadt in Niedersachsen. Mit der einmaligen konfessionellen Situation, mit vielen kirchlichen Einrichtungen und im wahrsten Sinne herausragenden Kirchengebäuden.“ Auch die landschaftliche Umgebung gefällt dem passionierten Radfahrer ausgesprochen gut. Doch auch hier mischen sich nachdenkliche Töne in seine Rückschau: Von der Aufbruchstimmung, die die Bewerbung zur Kulturhauptstadt ausgelöst habe, sei nicht mehr viel zu spüren.

Die vielen Leerstände, die mangelnde Lebendigkeit in der abendlichen Innenstadt: In Hildesheim bewege sich derzeit wenig. Er vermisst Visionen und perspektivisches Denken, zum Beispiel auch bei der Planung neuer Baugebiete: „Dass man ein Quartier nicht vom Auto her plant, kann doch heute nichts Revolutionäres mehr sein.“ 

Von seiner neuen Wohnung in Hannover zu seiner neuen Arbeitsstelle in der Innenstadt sind es vier Kilometer. „Dahin habe ich einen durchgängigen Radweg quer durch die Stadt ohne eine einzige Ampel“, berichtet Peisert. „Das ist die reinste Erholung.“ Ralf Neite

Info:

Mit einem Gottesdienst am Sonntag, 9. Juli, um 17 Uhr in der St.-Andreas-Kirche wird Mirko Peisert verabschiedet. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge wird die Stelle de:r Superintendent:in nach den Sommerferien ausgeschrieben. Darauf folgen Bewerbungsgespräche und die Aufstellungsgottesdienste. Mit der Entscheidung ist wahrscheinlich erst zu Beginn des neuen Jahres zu rechen.