"Kirche muss raus zu den Menschen"

Nachricht Hildesheim, 09. September 2023

17 Jahre lang hat Meike Riedel als Pastorin den Wandel in der Lukasgemeinde in Ochtersum vorangetrieben / Nun wird sie Superintendentin in Hannover

Hildesheim. "Wir müssen raus, dahin, wo die Menschen sind", so lautet Meike Riedels Auffassung von Gemeindearbeit. Das kann zum Beispiel heißen, mit dem Lucamobil, einem rollenden Cafewagen, im Stadtteil präsent zu sein. Hauptsache mittendrin.

17 Jahre lang hat die 55-Jährige als Pastorin der Lukaskirche in Ochtersum nicht nur auf der Kanzel gestanden, sondern vor allem die Bedürfnisse der Menschen im Stadtteil erforscht – den Weg der Begegnung und emotionale Berührung gesucht. Am 24. September wird Meike Riedel um 16.30 Uhr in der Lukaskirche Abschied von ihrer Gemeinde nehmen. Denn am 1. Oktober beginnt sie ihr Amt als Superintendentin des Kirchenkreises Hannover Süd-Ost.

"Es reizt mich, das Konzept ,raus aus der Kirche, rein in den Ort' und die guten Erfahrungen aus Ochtersum weiterzutragen", sagt Riedel. Die Dimension von 19 zu betreuenden Kirchengemeinden empfindet sie zwar als herausfordernd. "Aber in Hannover sind wir vier Superintendenten, ich bin also nicht allein."

Die Nähe zu den Menschen in Ochtersum werde ihr fehlen, gesteht die dreifache Mutter. "Aber vieles, was ich hier auf die Beine gestellt habe, ist auf einem guten Weg. Die Gemeinde wird die Wege weiter gehen - auch ohne mich", ist sie überzeugt.

Nach fünf Jahren als Gemeindepastorin in Peine hatte sich Riedel 2006 bewusst auf die Stelle in Ochtersum beworben, "weil das Gemeindezentrum mit seinem offenen Kirchenraum vom Typ her viel Offenheit und Nähe ausstrahlt". Dank eines "fantastischen Kirchenvorstands“ seien seit 2012 in intensiver Arbeit Visionen verwirklicht worden. Im Mittelpunkt stehe das Cafe LUCA, "das Herzstück, an dem die diakonische Ausrichtung der Gemeinde dranhängt", erklärt Riedel stolz.

In dem zum Kirchenraum nur durch eine Lamellenwand abgetrennten Cafe treffen sich Gruppen wie Ukraine-Flüchtlinge, Nachbarinnen und Nachbarn, die Literaturrunde, der Besuchsdienst, der Spielenachmittag, die Senioren aus dem Altenheim. In dem öffentlichen Cafe wird Suppe und Kuchen angeboten. "Wir haben nur eine angestellte Koordinatorin, das lebt alles von den Ehrenamtlichen." Die sogar selber backen. Da allerdings ist Riedel raus: "Ich beschränke mich aufs Essen der tollen Torten." Das Anwerben und Betreuen der Ehrenamtlichen ist eine Herzensangelegenheit für die Theologin. 

Riedel selber ist nach der Konfirmation durch die kirchliche Jugendarbeit zum Glauben gekommen. "Die Taufe war für mich die entscheidende Erfahrung, von Gott angenommen zu sein, so wie ich bin. Von diesem Halt lebe und zehre ich bis heute." Deshalb ist sie froh über die lebendige Jugendarbeit, die in der Lukas- und der Markus-Gemeinde angeboten wird.

Kirche dürfe sich nicht auf die Gemeindeglieder fokussieren, sondern müsse sich öffnen, resümiert Riedel: "Für wen und wie wollen wir Kirche sein? " Die Stichworte – gerade in einer "Schlafstadt" wie Ochtersum mit vorrangig älteren Menschen und Familien – seien Sozialraumorientierung und Stadtteilwandel. Ungeachtet von Konfessionen müssten Begegnungsmöglichkeiten und Berührungspunkte gesucht werden. "Ein Programm im Kirchenraum reicht nicht."

Trotz all der positiven Erfahrungen beschreibt Riedel den Wandel auch als mühsam. "Dass Menschen zur Gemeinde gehören wollen, nimmt rasant ab" - eine der "üblen Facetten kirchlicher Verfehlungen". In Ochtersum - ein Stadtteil mit 9000 EinwohnerInnen - gehören 2700 Menschen zur Lukasgemeinde. "Das sind 600 weniger als noch vor 17 Jahren", bedauert Riedel. "Wer neu zuzieht, ist meist konfessionslos." Und die Zahl der Austritte sei höher als die der Eintritte. "Das tut weh."

Selbst eine gut Gemeindearbeit könne das nicht aufholen. Die Dimension dieser Entkirchlichung werde in ihrer Arbeit als Superintendentin noch zunehmen. Aber Meike Riedel will ihren Weg weiter gehen: "Die Erfahrung, dass Kirche Menschen mit dem richtigen Konzept weiter erreichen kann, lässt mich zuversichtlich sein." Martina Prante