Integration ist keine Einbahnstraße

Nachricht Hildesheim, 23. März 2023

Die Visitation in der Nordstadt-Gemeinde Martin Luther führt Superintendent Mirko Peisert zum Moscheeverein in der Leunisstraße / Superintendent und Imam wollen stärker kooperieren

Hildesheim. Mit seinen 26 Jahren ist Sinan Öztürk einer der jüngsten Imame
Deutschlands. Und: bundesweit der einzige, der das gemeinschaftliche Gebet in der Moschee auf Deutsch leitet, aber auch arabisch und türkisch spricht. "Die muslimische Jugend lässt sich besser auf Deutsch erreichen",
konstatiert Öztürk, der im Harz geboren ist. 

Durch den deutschsprachigen Imam habe sich der Kontakt zur muslimischen Gemeinde deutlich verbessert, betont Lutz Krügener, Pastor der Martin-Luther-Kirche in der Nordstadt und damit Nachbar der Ayasofya-Moschee in der Leunisstraße - eine der drei großen Moscheegemeinden in Hildesheim. Ein guter Grund für Superintendent Mirko Peisert, sich auf seiner Visitation in der Martin-Luther-Gemeinde - nach dem Begegnungszentrum Broadway im Fahrenheitgebiet, Stadtteiltreff sowie Arbeit und Dritte Welt im Stadtfeld - ein Bild vom muslimischen Treffpunkt zu machen. 

Aus den 70er Jahren stammt der Raum mit Gebetsnische (links) und Gebetskanzel, erklärt Emin Tucan vom Interreligiösen Arbeitskreis Abrahams Runder Tisch den Besuchern Mirko Peisert (links) und Lutz Krügener (Zweiter von Rechts). Tuncay hat das Treffen mit Dr. Abdelkader Bouiken, Vorsitzender des Interkulturellen Zentrums (rechts), und Ertan Umuroglu, neuer Vorsitzender des Moschee-Vereins, organisiert. Foto: Martina Prante

"Sehr eindrucksvoll", resümiert er nach Führung durch die Moschee und
offenem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Interkulturellen Zentrums Dr.
Abedelkader Bouiken und dem neuen Vorstand des Moscheevereins Ertan
Umuroglu. "Man braucht solche Menschen, um neue Perspektiven zu bekommen", zeigt sich Peisert beeindruckt. In der Nordstadt gebe es so viele Nationen und Aktivitäten wie in keinem anderen Stadtteil. "Martin-Luther ist super vernetzt und damit entscheidend daran beteiligt, dass Initativen funktionieren und sozial engagierte und kulturelle Institutionen zu Wort kommen", lobt der Superintendent.

Den Kontakt zwischen Moscheeverein und Peisert hatte Emin Tuncay hergestellt, Sprecher des interreligiösen Arbeitskreises Abrahams Runder Tisch. Er weiß: "Seit den 90ern hat sich die Situation in Sachen Alltagsrassismus erheblich verbessert. Das Wissen über den Islam ist differenzierter. Aber die Situation kann besser werden." Und das geht nur über den Dialog, sind sich alle Beteiligten einig. Die Nordstadt mit ihren vielen Kulturen mache immer wieder durch Konflikte von sich reden. "Wir können Vorurteile nur bekämpfen, wenn wir gut zusammen leben", so Tuncay. 

Mehr als 300 Gläubige aus 25 verschiedenen Ländern treffen sich freitags in der Ayasofya-Moschee in der Nordstadt zum Gebet. Pastor Lutz Krügener von der Martin-Luther-Gemeinde und Superintendent Superintendent Mirko Peisert (links) wollen sich ein Bild machen. Foto: Martina Prante

Mit dem deutschsprachigen Imam ist laut Tuncay die muslimische Gemeinde in der Nordstadt vor zwei Jahren mit 35 Gläubigen gestartet. Inzwischen drängeln sich zum Freitagsgebet bis zu 400 Menschen aus 25 Nationen in verschiedenen Räumen und im Keller in der Ayasovya-Moschee. "Hier trifft sich die ganze Welt und kommuniziert auf Deutsch." 

Aber in den Räumen der Moschee wird nicht nur gebetet, erfahren Peisert und Krügener. Das Interkulturelle Zentrum für Erziehung, Integration und Bildung (IZEIB) bietet dort Unterricht für Erwachsene mit 14 Lehrkräften zum Beispiel in Islamkunde, Arabisch, aber auch Ethik, Sozialverhalten und in künstlerischen Fächern. Auch Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe und
Sprachunterricht stehen auf dem Programm. Und dieses Angebot richtet sich auch an Menschen anderer Religionen, betont Bouiken, der zudem im Beirat Migration und Integration der Stadt Hildesheim sitzt. 

"Wir suchen den interreligiösen Dialog im Sinne von Integration", formuliert
Bouiken. "Wir übernehmen seelsorgerische Aufgaben und betreuen Jugendliche im Integrationsprozess." Ertan Umuroglu ergänzt: "Wir wollen Ängste und Vorurteile durch Kennenlernen für die nächsten Generationen aus der Welt schaffen." Für Bouiken gehören Moschee und Kirche zusammen: "Eine Trennung schafft Räume für Vorurteile. Wir müssen uns öfter treffen und austauschen." Integration sei keine Einbahnstraße. 

Das nimmt Mirko Peisert gerne auf und schlägt ein Treffen zwischen muslimischen Jugendlichen und der evangelischen Jugend der Martin-Luther-Gemeinde vor. Außerdem wünscht sich der Superintendent eine
 Zusammenarbeit mit dem muslimischen Verein im Bereich der Kindertagesstätten. In einem Kindergarten wie "Käthes Nest" in der Fahrenheitstraße träfen viele Religionen aufeinander. "Da können wir gemeinsam für das gegenseitige Verständnis viel erreichen", betont Peisert. Ein Vorschlag, der auf offene Ohren trifft. "Eine KiTa ist in unserer Satzung vorgesehen", erklärt Bouiken. Und sie steht auch auf der Agenda des Moscheevereins, ergänzt Umuroglu.

Doch nicht nur für eine KiTa bräuchte es mehr Platz. Die Moschee als Ort der Begegnung platzt seit ihrem Start in den 70ern aus allen Nähten, deshalb wird Ersatz gesucht. "Mit OB Meyer haben wir ein Gebäude in der Nordstadt im Blick", erläutert Tuncay. Aber eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. "Wir wollen keinen Protzbau, sondern einen Ort, wo Religion und Bildung für die Gemeindemitglieder funktioniert." Und der offen ist für andere Religionen. Martina Prante

Info: Ein Visitationsgottesdienst mit Mirko Peisert wird am Sonntag, 26. März, um 10 Uhr in der Drispenstedter Thomaskirche gefeiert. Ein erstes Treffen zwischen Jugendlichen christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens ist das Friedensgebet am 3. Mai um 18 Uhr in St. Andreas.