Wunden zeigen, um zu heilen

Nachricht Hildesheim, 23. August 2022

Die Ausstellung „Ästhetik der Unvollkommenheit“ in der Hildesheimer St.-Andreas-Kirche: Narben und die Geschichten dahinter

Hildesheim. Die Naht am Bauch erinnert an die Geburt des Kindes. Die dünnen Linien am Handgelenk sind Anzeichen früher Vernachlässigung. Und die blasse Spur unter der Lippe entstand beim Sturz vom Klettergerüst. Unter dem Titel „Ästhetik der Unvollkommenheit – Was schmückt uns?“ stellt die St.-Andreas-Kirche Frauen und ihre Narben in den Fokus und zeigt die persönlichen Geschichten dahinter. Die Ausstellung beginnt am Sonntag, 28. August, mit einem Gottesdienst um 11 Uhr.

Bei der Ausstellung handelt es sich um ein Projekt zweier Künstlerinnen aus Weimar. Die Fotografin Lilli Glade und die Designerin Maria Gottweiss haben 29 Frauen und ihre Narben porträtiert. Neben den Schwarzweiß-Fotografien entdecken die Besucher und Besucherinnen, wie es zur jeweiligen Verletzung kam und inwiefern diese noch immer eine Rolle im Leben der Frauen spielt. Darüber hinaus werden die jeweiligen Exponate von einem Schmuckobjekt ergänzt, das Maria Gottweiss eigens zu diesem Zweck angefertigt hat, und das die Porträtierten und ihre Stärke auszeichnen soll.

Komplettiert wird die Ausstellung von einem umfangreichen Begleitprogramm. So werden jeden Mittwoch ab 17 Uhr Sonderführungen angeboten, bei denen Akteure und Akteurinnen aus Literatur, Theater oder Musik diverse Blickwinkel des Themas beleuchten. Beispielsweise wird die Theaterpädagogin und Clownin Antje Kilian oder Melanie Isverding, Professorin für Metallgestaltung und Schmuck an der HAWK Hildesheim, zugegen sein. Außerdem finden an den Sonntagen ab 11 Uhr Gottesdienste mit unterschiedlichen Gesprächspartnern und -partnerinnen statt.

Pastor Axel Kawalla ist sehr dankbar, dass die Ausstellung nun einen Monat lang in der Kirche zu sehen sein wird. Dies ermöglicht eine Förderung durch die Hanns-Lilje-Stiftung, den Sprengel Hildesheim-Göttingen sowie durch den Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt. Der Kontakt zu den Künstlerinnen entstand über eine gemeinsame Freundin aus Weimar. Für Axel Kawalla ist die St.-Andreas-Kirche genau der richtige Ort für ein solches Projekt. Schließlich habe schon Jesus die Wundmale seiner Kreuzigung zur Schau getragen – zudem sei es eine wichtige Aufgabe der Kirche, sich um Verletzte zu kümmern. „Gott steht immer auf der Seite der Opfer“, ist Kawalla überzeugt. Mit dem Projekt wolle man deshalb bewusst Partei für die Verletzten ergreifen.

Dass ausschließlich Frauen und ihre Narben gezeigt werden, sei die Entscheidung der Künstlerinnen – doch auch Axel Kawalla begrüßt diese Schwerpunktsetzung. „Männer und ihre Narben sind schon oft genug zu sehen“, so seine Meinung, „noch öfter aber sind sie für Narben verantwortlich.“

Die gezeigten Exponate sollen auch dazu animieren, über eigene Verletzungen nachzudenken und zu sprechen. „Seine Wunden zu zeigen, ist wichtig für den Heilungsprozess“, glaubt Axel Kawalla. Das gelte für körperliche Verletzungen ebenso wie für seelische.

Am Sonntag, 28. August, um 11 Uhr wird die Ausstellung mit einem Gottesdienst eröffnet. Unter dem Titel „Was, wenn es nie heilt?“ wird Pastor Axel Kawalla mit Vertreterinnen des Vereins Wildrose e.V. über sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen ins Gespräch kommen. „Ein schweres Thema für den Einstieg“, gibt Kawalla zu. Dennoch habe man sich bewusst dafür entschieden. „Diese Schwere darf auch da sein und soll nicht verschwiegen werden“, so der Pastor.

Die Ausstellung „Ästhetik der Unvollkommenheit“ ist vom 28. August bis zum 28. September, jeweils Dienstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr, in der St.-Andreas-Kirche in Hildesheim zu sehen. „Wir freuen uns über jeden Besucher und jede Besucherin“, so Axel Kawalla. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen gibt es unter www.aesthetik-unvollkommenheit.de. Kristel Döhring