Landesbischof: Ein Volk hat das Recht, sich zur Wehr zu setzen

Nachricht Harsum, 28. März 2022

Ralf Meister besucht die St.-Andreas-Kirchengemeinde in Harsum und beantwortet drängende Fragen aus der Gemeinde

Harsum. „Es gibt nichts Schöneres als Gemeindebesuche“, sagte Landesbischof Ralf Meister bei seinem ersten Besuch in der evangelischen St.-Andreas-Kirchengemeinde in Harsum. Im vergangenen Jahr hatte der Landesbischof an 250 Kirchengemeinden der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers 25 000 Osterkerzen als Hoffnungszeichen verschenkt, 100 der beschenkten Gemeinden besuchte er selbst. Harsum gehörte nicht dazu – dafür kam der Bischof in diesem Jahr, und nun mit viel mehr Zeit. So blieb nach dem Gottesdienst noch Gelegenheit für die Gemeindemitglieder, beim Kirchenkaffee Fragen zu stellen.

Und die hatten es in sich: Gleich zum Einstieg ging es um die Haltung des Landesbischofs zu Waffenlieferungen in die Ukraine. Er sei als Pazifist groß geworden, erklärte Meister. Doch Erfahrungen während des Studiums in Israel, durch den Bosnienkrieg und nach einem Besuch im zerstörten syrischen Homs habe sich seine Einstellung geändert: Der Einsatz von Waffengewalt könne gerechtfertigt sein, wenn sich ein Volk gegen eine zerstörerische Macht zur Wehr setze.

Auf Nachfrage bezog Meister auch Stellung zu einem Fall in der Braunschweiger Landeskirche: Die hatte ihren Domkantor gekündigt, weil dieser mit seinem Partner eine Leihmutterschaft in Kolumbien in Anspruch nehmen wollte. Er hätte ebenso gehandelt wie die Verantwortlichen in Braunschweig, sagte Meister. Durch die Leihmutterschaft werde die Würde von Frauen brutal instrumentalisiert. Aus Sicht der evangelischen Kirche sei die Entstehung des Lebens eine symbiotische Erfahrung von Mutter und Kind.

Eine Gottesdienstbesucherin fragte nach der Bedeutung von Kirche für die junge Generation: Obwohl sie selbst und ihr Mann die Nähe zur Kirche vorlebten, seien zwei ihrer Kinder aus der Kirche ausgetreten. Sie seien gläubig, aber auch ohne Kirche glücklich. Er kenne viele solcher Fälle, sagte Meister, habe auch in der eigenen Familie die Frage gehört: „Glaubt der das wirklich?“ „Das trifft einen ja im Herzen“, sagte der Landesbischof. Wie Menschen wieder für die Kirche zu gewinnen seien, darauf gebe es keine große Antwort, nur viele kleine: Durch gelungene Initiativen, Aktionen und Projekte.

Auch die Corona-Zeit habe das Gemeindeleben geschwächt, lasse die Bänke leer bleiben, sagte Kirchenvorstandsvorsitzende Susanne Bräuer. Lasse sich das wohl wieder umkehren? Es werde künftig wohl andere Modelle, andere Angebote geben, sagte Landesbischof Ralf Meister. Die religiöse Sehnsucht sei immer noch da: „Die Zukunft der Kirche zeigt sich nicht nur in Zahlen, auch in dem Vertrauen, dass es auch im Kleinen weitergeht.“

„Wie gut, aber auch wie böse ist der Mensch“, hatte Ralf Meister zuvor in seiner Predigt im Gottesdienst mit Bezug auf das Kriegsgeschehen, aber auch die dadurch ausgelöste Hilfsbereitschaft gesagt. Menschen brauchten Trost angesichts der Bilder von Schmerz und Leid. Trost von Gott oder von einem Menschen ändere zwar nicht die Umstände, aber den Blick auf die Welt: „Es gilt so zu handeln, als ob das Leben einen guten Ausgang nimmt.“  Wiebke Barth