Innehalten im Gewusel

Nachricht Hildesheim, 18. Dezember 2022

Ein ganz besonderer Gottesdienst: Bahnhofsmission verwandelt Sonntagabend Bahnhofshalle mit Andacht und Musik in Kirchenraum

Der Posaunenchor der Michaeliskirche in Aktion. Foto: Martina Prante

Hildesheim.  Die Hildesheimer Bahnhofshalle ist kein Ort der Besinnung. Menschen hasten zu ihrem Zug, ärgern sich über Verspätungen oder wollen schnell noch etwas einkaufen fürs Abendessen. Andere, die kein Zuhause haben, suchen dort Schutz vor der Kälte. Doch einmal im Jahr, nämlich am 4. .Advent, wird die Bahnhofshalle zum Kirchenraum. Am gestrigen Sonntag bringt die von der Bahnhofsmission organisierte weihnachtliche Andacht so manchen Reisenden zum Innehalten, zum Mitsingen und am Ende sogar zum Spenden.

Seit vielen Jahren ist diese Andacht am 4. Advent Tradition. "Sogar als hier umgebaut wurde", betont Matthias Böning, Geschäftsführer der Diakonischen Werke, Trägerin der Bahnhofsmission. Die leistet auf Gleis 2 schnell und unbürokratisch Hilfe, sowohl Reisenden wie Wohnungslosen. Die Andacht soll unter anderem auf diese Arbeit hinweisen. Und so erzählt Böning später die Geschichte von einer Hebamme, die bei der Bahnhofsmission Hilfe für eine hochschwangere Frau aus Ghana suchte, weil sich niemand für sie zuständig fühlte. 

In den vergangenen zwei Jahren musste die Andacht aus bekannten Gründen pausieren. Doch an diesem Sonntag sind alle wieder bei: Ehrenamtliche der Bahnhofsmission und der Posaunenchor der Michaeliskirche unter der umsichtigen  Leitung von Ronald Schrötke. "Immert eine sehr schöne Veranstaltung", sind sich die Musiker und Musikerinnen einig.

Für Pastor Jochen Roh, ab Januar theologischer Referent der Diakonischen Werke Niedersachsen, ist diese Andacht zwischen Brezeln, Kaffee und Büchern im Dunst von Pizza und Curry neu: "Eine spannende Herausforderung, Menschen, die wegen ganz anderer Dinge hier sind, zu erreichen." Roth ist für Superintendent Mirko Peisert angetreten, der krank ist. Peisert schätzt diese Andacht, "weil ich die Arbeit der Bahnhofsmission sehr wichtig finde".  Und: Keine Herberge zu haben – "das ist ja ein weihnachtliches Motiv und vielleicht finde ich gerade deshalb diesen Gottesdienst so  stimmungsvoll."

Das liegt auch daran, dass bei diesem  Format alles ganz locker zugeht. Menschen kommen und gehen, beißen in ihr Brötchen, trinken ihr Bier, filmen und staunen. Viele bleiben stehen, weil der Anblick der 13 Bläser und Bläserinnen ungewohnt ist an diesem Ort. Und der Klang - von "Macht hoch die Tür" bis zu "Stern über  Bethlehem" - fulminant. 

Roth spricht mit seinen Worte, dass er "ganz schön müde sei vom Warten, dass die Dinge besser werden", vielen Menschen an diesem Sonntagabend aus dem Herzen. Er redet von Klimaabkommen, Krieg in der Ukraine, den Protesten im Irak, der Arbeitssituation in der Krankenpflege und dem Warten auf eine sozial gerechte Gesellschaft. Für Umsturzfantasien zieht er  Daenery Targaryen als Sprengerin der Ketten aus Game of Thrones und die Mutter Gottes aus dem Lukas-Universum heran und hofft, "dass es mit der Hilfe Gottes begründete Hoffnung gibt, dass sich die Welt zum Besseren wendet".