"Jeder Mensch interessiert mich"

Nachricht Hildesheim, 20. September 2022

Ohne Bibel, mit Taschentuch: Sieben Jahre lang hat Pastorin Christine Aden-Loest im Ameos Klinikum Menschen als Seelsorgerin begleitet / Freitag Abschiedsgottesdienst

Hildesheim. "Ich bin keine Retterin. Ich bin eine Begleiterin", beschreibt Christine Aden-Loest ihre Aufgabe als Seelsorgerin im Ameos Klinikum. Eine schwierige, im Stillen, fast im Verborgenen stattfindende Aufgabe. Aber die Pastorin ist überzeugt von der Relevanz ihres Berufes für die Patienten: "Was gibt es Schöneres als eine treue Begleiterin zu haben, die Zeit hat, zuhört, verlässlich ist und einem Last abnimmt, wenn man verzweifelt und hoffnungslos ist."

Sie nennt das Menschenliebe, eine zutiefst christliche Aufgabe. "Seelsorge in der Psychiatrie ist erfüllend, auch wenn sie viel Kraft kostet." Am Freitag werden die 65-Jährige und ihr Kollege, Pastorialreferent Andreas Metge, mit einem Gottesdienst aus dem Dienst der Klinikseelsorge in den Ruhestand verabschiedet.

"Hier hatte ich die glücklichste Zeit, hier konnte ich alle meine Erfahrungen einbringen", resümiert Aden-Loest nach sieben Jahren Arbeit mit Menschen, die gegen Krankheiten wie Psychose, Demenz oder Sucht zu kämpfen hatten. "Zu vielen habe ich eine Beziehung aufgebaut, bin Vertrauensperson geworden." Sie habe viel Leid erfahren, aber auch begriffen, dass hinter jeder Krankheit eine große Portion Kreativität stecke. "Ich traue jedem zu, dass er seinen, ihren Weg selber findet."

Die dreifache Mutter empfindet es als eine besondere Gabe, mit Menschen in Kontakt zu kommen, etwas zu bewirken, Schwingungen entstehen zu lassen. Diese Gabe habe sich bei ihr schon als Kind abgezeichnet: „Als eine Freundin chronisch krank wurde, habe ich über Wochen jeden Tag an ihrem Bett gesessen und sie begleitet." Dass diese seelsorgerische Berufung in einem Theologiestudium und nicht in der Sonderpädagogik mündete, schiebt die Pastorin auf ihr Elternhaus: „Ein Pfarrhaushalt prägt", erklärt sie schmunzelnd.

Zwar hat sie sich mit ihrem Ehemann Jürgen Loest, seit 2010 Pfarrer der St. Lamberti-Gemeinde, über Jahre die Gemeindepastorenstelle in Ueffeln geteilt, aber den größten Teil ihres beruflichen Lebens war Christine Aden-Loest seelsorgerisch unterwegs. Das therapeutische Rüstzeug hat sie sich im Laufe der Jahrzehnte in vielen Aus- und Fortbildungen angeeignet. Sie nennt das „gelebte Fortbildung".

So ist sie unter anderem Ehe-, Familien- und Lebensberaterin und Schwangerschaftskonflikberaterin. In den 80ern und 90ern war die Rotenburgerin Vorreiterin der geschlechtsspezifischen Seelsorge: „Frauen, denen Gebärmutter oder Brüste entfernt wurden oder die Fehlgeburten hatten, haben ganz andere Bedürfnisse als Männer", hat sie damals neues Bewusstein vermittelt.

Seitdem hat die Pastorin in Osnbrück unter anderem in einer psychologischen Beratungsstelle für Familien- und Lebensberatung gearbeitet, im Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult Eltern zur Seite gestanden und seit 2005 im Ameos Klinikum Andreas Metge unterstützt. Erst mit einer Viertelstelle, seit 2017 mit einer Dreiviertelstelle. Alle 14 Tage habe sie einen Gottesdienst abgehalten, auch Beerdigungen und Taufen gehörten zu ihren Aufgaben. Vorrangig aber war der Mensch. 

Aden-Loest empfindet es als Luxus und große Freiheit, "so viel Zeit für die Menschen im Ameos gehabt zu haben, ohne meine Arbeit dokumentieren, Therapiepläne machen oder Statistiken ausfüllen zu müssen". Die Pastorin ist ohne Bibel und Gesangbuch auf die Stationen gegangen und hat unabhängig von Religion, Konfession oder Weltanschauung zugehört. "Das ist gegenseitiges Empfangen ohne einengendes Konzept." Doch auch religiöse Fragen wurden ihr gestellt, zum Beispiel nach Gott, dem Tod oder dem Sinn von Leid. "Dann machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach einer Antwort. Seelsorge kann dazu beitragen, Ereignisse in einen Sinnzusammenhang zu stellen. So kann Trost entstehen. "

Zum Jahresende muss sie mit ihrem Mann das Pfarrhaus am Neustädter Markt verlassen. "Ich muss viel entrümpeln, weil wir uns innerhalb Hildesheims verkleinern." Doch wenn all das erledigt ist, dann will Christine Aden-Loest im nächsten Sommer wieder seelsorgerisch arbeiten. "Ich kann mir nichts anderes vorstellen." Martina Prante