Ein schwerer Verkehrsunfall. Eine erfolglose Reanimation. Der plötzliche Tod eines Familienmitglieds: Wer das miterlebt, der steht oft unter Schock. Für solche Fälle, in denen es um Sterben, Leid und Tod geht, bietet die Evangelische Kirche die Notfallseelsorge. "Wir wollen im Landkreis Hildesheim an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr für jeden Menschen - ungeachtet seiner Konfession - erreichbar sein“, sagt Mirko Peisert, Superintendent und Vorsitzender des Kirchenkreisverbands Hildesheim.
Vier Beauftragte der Kirchenkreise Hildesheimer Land-Alfeld und Hildesheim-Sarstedt organisieren in der Region die "Hilfe für die Seele", die Pastor*innen Alexandra Beiße, Marvin Döbler und Anne-Christin Ladwig und Diakon Jürgen Lojowsky. Allerdings stehen sie nicht alleine da, sondern werden durch einen Pool von 34 Menschen, vorrangig Pastoren und Pastorinnen, Diakone und Diakoninnen und katholische KollegInnen, unterstützt. Jede*r von ihnen hat ein bis zwei Mal im Jahr für eine Woche Rufbereitschaft.
Die Anrufe kommen von der Leitzentrale, die die seelsorgerische Begleitung anfragt. Zum Beispiel in Fällen von Suizid, bei plötzlichem Kindstod oder wenn bei Verkehrsunfällen Angehörige am Unfallort warten müssen. Am häufigsten begleiten Notfallseelsorger laut Lojowsky Polizeibeamte, die eine Todesnachricht überbringen müssen. Erfahrung helfe bei Einsätzen, aber jeder Fall sei ein Drahtseilakt zwischen Professionalität und Gefühl, so Lojowsky. Anne-Christin Ladwigs Devise: "Einen kühlen Kopf bewahren und ein warmes Herz zeigen."
Dabei sind die Erlebnisse auch für die Profis belastend: "Wir sind zwar alle seelsorgerisch qualifiziert", betont Peisert, "aber bei der Notfallseelsorge handelt es sich eben nicht um die klassische Gesprächssituation." Lojowsky ergänzt: "Lernen kann man das nicht. Man bringt sich ein, agiert und reagiert und muss zusehen, wie man es aushalten kann." Das gelinge nicht immer. "Lange belastet hat mich der Tod von Kindern, die damals im selben Alter waren wie meine eigenen", erzählt der Diakon. "Oder wenn es sich bei den Opfern um Bekannte handelt", ergänzt Springerpastorin Ladwig.
Wer freiwillig bei der Notfallseelsorge mitwirkt, ist trotzdem vorbereitet. Anne-Christin Ladwig ist bei der Feuerwehr und in der Suizid-Prävention aktiv, Marvin Döbler ist vor 20 Jahren Rettungswagen gefahren. Und ein Fortbildungsmodul zur Qualifizierung sieht unter anderem den Besuch bei Einsatzleitzentrale und Feuerwehr vor. "Es ist für einen Theologen gut, die Abläufe vor Ort zu kennen, um sie erklären zu können", so Alexandra Beiße.
Denn vor Ort müsse der Seelsorger oder die Seelsorgerin oft genug selbst erkennen, was der Auftrag ist. Einem Menschen beistehen, der sieht, wie ein Angehöriger aus dem Auto geschnitten wird, auf dem Sofa Trost spenden, wenn auf dem Teppich der Rettungsdienst mit der Reanimation beschäftigt ist, oder erklären, warum bei einem plötzlichen häuslichen Tod die Kripo samt Spurensicherung auftaucht: Information hilft gegen Angst.
Und dann? "Die Polizei ist schnell wieder weg. Wir bleiben!", betont Ladwig. Wenn es die Situation erfordert, auch Stunden lang. Die Notfallseelsorger bieten Trost: "Wir halten die Hand, nehmen in den Arm oder sprechen ein Gebet. Jeder Fall ist einzigartig", so Ladwig. Aber sie werden auch aktiv und kümmern sich um Hilfe von außerhalb, von Angehörigen oder Nachbarn. "Solange, bis der Betroffene wieder selber fähig ist, aktiv zu werden".
Rufbereitschaft bedeutet allerdings nicht, dass der zuständige Seelsorger immer selbst raus muss. Die oberste Maxime ist: die Betreuung garantieren. Als erstes werde der zuständige Pastor vor Ort um Übernahme des Falles gebeten. Doch manchmal bleibe fürs Delegieren keine Zeit, wenn zum Beispiel eine Todesnachricht über Facebook schneller die Hinterbliebenen zu erreichen drohe als durch den Besuch der Polizei. "Das wollen wir verhindern."
Im vergangenen Jahr sind die Notfallseelsorger im Landkreis Hildesheim 40-mal angefordert worden, 85 Prozent der Einsätze führen in den häuslichen Bereich. "Gottseidank sind Verkehrsunfälle rückläufig", sagt Lojowsky. Dank erwarten die Notfallseelsorger nicht. "Aber wir bekommen ihn oft." Martina Prante